Ein Hurrikan zieht auf die Ostküste der USA zu, und für Kapitän Lukasz Hajduk heißt das: Leinen los und so schnell wie möglich raus auf den Atlantik! Der polnische Seemann über eine geplante Flucht aus New York City, Neugierde und seine Liebe zur See.
Meine erste Seereise trat ich mit meinem Vater an. Er war Kapitän, und er wollte mir zeigen, wie das Leben auf See spielt. Die schönen Seiten, aber auch die harten. Zum Beispiel das Gefühl, längere Zeit von der Familie getrennt zu sein. Mein Vater arbeitete auf einem Bananendampfer, der Früchte aus der Karibik nach Hamburg transportierte. Ich war 17 Jahre alt und hatte gerade die Schule verlassen. Ich heuerte als Aushilfsmatrose an.
Um ehrlich zu sein: Die ersten Wochen an Bord mochte ich überhaupt nicht. Als Matrosenneuling steht man in der Rangordnung an Bord ganz unten, und es ist ziemlich egal, ob man Sohn des Alten ist. Ich entrostete, ich malte, ich schrubbte die Toiletten. Zu meinen Aufgaben gehörte es auch, die Temperatur in den Kühlräumen zu kontrollieren. Ich erinnere mich an einige Skorpione, ziemliche große Skorpione, die über die engen Zwischengänge krabbelten.
35 Tage dauerte die Reise. Bis dahin kannte ich nur die Zuneigung meiner Mutter und meinen Fußballverein. Ich war ein ziemlich guter Spieler, Stürmer bei Pogon Stettin. Die Trainer meinten sogar, ich könnte es mit etwas Glück zum Profi bringen. Heute spiele ich gerne mit meinem Sohn. Doch auf dem Ozean lernte etwas anderes: Disziplin, das Einhalten von Dienstzeiten. Ich lernte harte Arbeit kennen. Vermutlich wollte mich mein Vater deshalb mitnehmen.
Je länger die Reise dauerte, desto besser gefiel mir das Leben an Bord. Ich gewöhnte mich an die Tätigkeiten, kam mit der Crew gut aus – und vor allem genoss ich es, wenn wir in einem Hafen festmachten. Ich liebe es, ein mir unbekanntes Land zu bereisen. Die Neugierde treibt mich an. Sofern es der Dienstplan erlaubt, leihe ich mir ein Auto oder ein Fahrrad aus und fahre los. Oder ich organisiere Exkursionen für die Mannschaft. Ich verstehe dies auch als eine Geste, ihnen etwas für geleistete Arbeit zurückzugeben.
Fußball oder Seefahrt? Meine Entscheidung stand nach der Reise mit meinem Vater fest. 1997 verließ ich die Seefahrtsakademie von Stettin. Eine meiner ersten Stationen war eine skandinavische Reederei.
Ich bin, wie viele Seeleute, ein wenig abergläubig. Vor jeder Reise klopfe ich auf Holz. Es gibt mir einfach das gute Gefühl, dass nichts passieren wird. Damit alleine ist es aber natürlich nicht getan. Neptun passt genau auf, ob wir unseren Job gewissenhaft machen. Ich halte meine Crew zur Ordnung an und zur Aufmerksamkeit für Details. Die Verknüpfung kleiner Fehler ist es, die größere Probleme verursachen kann. Unser Schiffsmanagement in Hamburg ist ein verlässlicher und kompetenter Ansprechpartner für uns Kapitäne. Ich mag auch die schöne Tradition, dass wir vor jeder großen Tour einen handschriftlich unterzeichneten Brief erhalten, in dem man uns eine gute Reise wünscht. Das hat Stil.
Es gilt aber auch der Satz: Wenn es nur gutes Wetter gäbe, dann könnte jeder Kapitän sein". Wir lagen im Oktober 2012 mit der „Seoul Express“ in New York, als die Email eintraf, die vor einem Supersturm warnte. „Run away and stay clear“, lautete die Empfehlung. Hurrikan Sandy, ein Wirbelsturm der gefährlichsten Kategorie Fünf, kam auf die Stadt zu. Die Behörden gaben an alle Schiffe die Order, so schnell wie möglich auszulaufen. Im Hafen würde es zu gefährlich sein. Sämtliche Häfen entlang der Ostküste wurden geschlossen.
Unsere nächste Station auf der Route sollte Norfolk sein, südlich von New York. Ich hielt meine Crew an, die Lösch- und Ladearbeiten so schnell wie möglich abzuschließen. Als eines der letzten Schiffe liefen wir aus. Die „Seoul Express“ ist ein Containerschiff der Panamax-Klasse, 294 Meter, mit Platz für 4800 TEU. Ich spürte, dass die Männer unruhig waren. Keiner wusste, was uns erwartete. Mit voller Kraft liefen wir Richtung Osten, so weit wie möglich hinaus auf den Atlantik. Wenn alles lief, wie wir es planten, zog Hurrikan Sandy nach unserer Flucht aus New York hinter unserem Heck vorbei.
Der Wind nahm weiter zu. Nach Mitternacht verabschiedete sich das Messinstrument bei Beaufort 12 und zeigte fortan nur noch den Fehlercode 999 an. Wir waren trotz aller Eile in die Ausläufer dieses riesigen Sturms geraten. Mit einer Ausdehnung von fast tausend Seemeilen (1852 Kilometern) zählt er als der größte jemals auf dem Atlantik gemessene Hurrikan. Die Wellen maßen nun zwölf Meter und kamen, was unangenehm war, aus unterschiedlichen Richtungen. Eine schlug an Backbord ein und beschädigte die Verschanzung stark. Der Stahl wurde von der Kraft des Ozeans eingedrückt wie Pergamentpapier.
Nach einigen Stunden beruhigte sich die See. Wir änderten den Kurs und liefen wieder Richtung Westen, auf die Küste zu. Sandy kostete 285 Menschen das Leben und verursache Schäden in Höhe von 70 Milliarden US-Dollar.
Die Lage normalisierte sich nur langsam, die Häfen öffneten wieder. In der Seekarte sah unsere Fluchtroute – knapp tausend Seemeilen weit - aus wie ein langgezogenes, flaches, Rechteck. Wir machten in Norfolk fest.