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Ist das der Untergang? See-Azubis üben den Notfall

Nein, nur eine Übung. Aber was See-Auszubildende während der Grundausbildung im Trainingsbecken lernen, kommt der Realität sehr nahe – wie unser Reporter hautnah erlebte.

Text: Lars Rauscher; Fotos: Sebastian Vollmert

Die Nacht ist schwarz, der Sturm heult. Im Gewitterblitz flackert das rote Dach der Rettungsinsel auf. So schnell wie möglich soll ich dahin. Die Rettungsweste hält Bauch und Kopf halbwegs über Wasser. Brechende Seen aber machen das Atmen schwierig. Ich schlucke Wasser und muss husten. Richtig festhalten an der Insel, einer nach dem anderen soll mit mir da hinein. Füße in die kurze Strickleiter, hinauf auf die Stufe und ein Knie auf den Rettungsinselrand.

Vier Kräftige Arme unterstützen mich. Luft anhalten, Augen zu – rums. Bauchlandung auf dem wabbeligen Boden der Rettungsinsel. Badewannen voll Wasser haben sich dort gesammelt. Tut nicht weh, ist aber ungewohnt. „Bist du okay?“ Jeder Neuankömmling wird kurz befragt. Der Reflex befiehlt, sofort an den Rand zu krebsen, sich neben die anderen zu kauern. Platz machen für den nächsten – rums. Puls, Blutdruck, Atemfrequenz, Adrenalinspiegel, alles zu hoch. Egal, gerettet. Erst mal.

Basic-Safety-Kurse in Elsfleth
Was ich hier erlebe, ist nur eine Übung. Ein Training im Becken des Maritimen Kompetenzzentrums im norddeutschen Elsfleth. Ein Tag des insgesamt zweiwöchigen Basic-Safety-Kurses, der zur seemännischen Grundausbildung bei Hapag-Lloyd gehört. Vorbereitung auf etwas, was hoffentlich kein Seemann erleben muss.

Anspannung beim Einsteigen

In der Rettungsinsel ist jeder auf Tuchfühlung zu den anderen, sitzt auf irgendwelchen Füßen und Beinen. Die Insel taumelt durch die Wellen, das Wasser schwappt. Man will auf den Horizont schauen, aber da ist keiner, nur Finsternis. Außerdem muss der Eingang geschlossen sein. Sonst kommt noch mehr Wasser herein. Die Luft ist verbraucht. Ruhe, fast Apathie bei den einen. Andere sind eher laut und ein bisschen übermütig. Jeder kämpft erst mal mit aufkommender Übelkeit.

Den ganzen Vormittag sind wir immer wieder ins Trainingsbecken hineingesprungen. Erst mit Badehose und Rettungsweste, dann mit orangefarbenem Eintauchanzug. Von der rund zwei Meter hohen Mauer an der Stirnseite des Beckens, vom Fünf-Meter-Sprungturm. Mit und ohne Seegang, Regen, Sturm, Lärm und Sicht. Immer wieder eine Überwindung. Am Anfang, als das normale Licht die Schwimmhalle noch erhellte, sah alles so harmlos aus. Jetzt ist es anstrengend, kalt, mancher zittert. Egal, Nase zuhalten, Rettungsweste nach unten sichern, rein ins kalte Wasser, dann in die Rettungsinsel. Das geht nicht ohne blaue Flecken und blaue Lippen. „Die Insel ist für zwölf Personen ausgelegt, ihr seid mehr. Was macht ihr?“, fragt Dozent Michael Trebin bei der ersten Runde am Morgen und gibt gleich die Antwort: „Es wird natürlich niemand den Haien überlassen!“ Also alle rein, klar.

Schwerstarbeit: Einsteigen in die Rettungsinsel

Die erfolgreiche Rettung
Ein starker Lichtkegel lässt das Innere der Insel orangefarben leuchten. Der Hubschrauber ist da – auch das simulieren sie hier im Becken. Einer nach dem anderen robbt zum Eingang, plumpst ins Wasser, schwimmt ein paar Meter weg. Der Downwind des Helikopters presst gefühlt jeden einzelnen Regentropfen mit voller Wucht auf die Wangen, in Augen, Nase, Mund und Ohren. Doch Geduld! Die Rettungsschlaufe erst ins Wasser tauchen lassen wegen der statischen Aufladung. Dann mit der linken Hand das lose Ende greifen, sich selbst samt Rettungsweste in die Schlaufe hineindrehen, mit der rechten Hand das feste Ende führen, den Karabiner einpicken und Schlaufe zuziehen. Handzeichen – langsam geht es nach oben, Landung im Sitzen auf dem Sprungturm. Vorsichtig wieder auf die Beine, die Knie schlottern. Die physische Belastung ist erheblich, dazu kommt die ständige Selbstüberwindung. Wieder: „Wie geht es dir – alles okay?“ Jeder Kümmert sich um jeden – und das ist gut so.

Hapag-Lloyd ist bundesweit der größte maritime Ausbilder, mit einer Erfahrung von mehr als einem Jahrhundert. Fast 200 junge Menschen durchlaufen derzeit allein in Deutschland eine Ausbildung. Die meisten an Land, aber knapp 100 davon im Seebereich. Erik Hirsch, Senior Training & Education Manager bei Marine Human Resources, ist verantwortlich für die Ausbildung der angehenden Seeleute, die hier in Elsfleth den Ernstfall kennenlernen.

Er lobt die Gruppe: „Diese jungen Leute kennen sich erst seit fünf Wochen. Sie haben die Zeit so gut zum Teambuilding genutzt wie kaum ein Jahrgang vorher und passen extrem gut aufeinander auf. Ich bin echt beeindruckt.“ die Vierzehn im Alter zwischen 16 und 19 machen eine Schiffsmechaniker-Ausbildung. Sie lernen Seefahrt, Bordbetrieb und Seemannschaft aus einer praxisbezogenen Perspektive, die in der Offizierslaufbahn extrem nützlich ist. Für Hapag-Lloyd ist diese Ausbildung eine Art Kaderschmiede. „Wir ermöglichen den jungen Leuten einen tollen Berufsstart und erwarten gleichzeitig, dass sie danach die technische oder nautische Laufbahn einschlagen“, erläutert Erik Hirsch.  

Kein Wasser zu schlucken ist bei dem Wellengang fast unmöglich

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