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Wie ein Bayer zur See kam

Kapitän Philipp Blancard (40) über seinen Weg auf die Brücke - und Heimweh an Bord

Eigentlich wollte ich Pilot werden. Wie schon mein Großvater, eine Persönlichkeit, die mich als kleiner Junge sehr beeindruckt hat. Er hat, so zumindest erzählen sie es bei uns in der Familie, sich aus einem Bausatz selbst ein Flugzeug gebaut, eine Art Ultraleichtflieger und ist tatsächlich damit geflogen.

Aber er blieb der bis heute einzige von uns, der abgehoben ist. Die Folgen eines Sehfehlers haben mir den Weg zum Piloten verwehrt. Und mir letztlich eine ganz neue, ungemein faszinierende Welt eröffnet: die Seefahrt.

Seit zweieinhalb Jahren bin ich nun Kapitän bei Hapag-Lloyd – und damit, als gebürtiger Münchner, ein Bayer auf See. Mein erstes Kommando hatte ich auf der knapp 300 Meter langen „Tokyo Express“ im PAX-Dienst. Das war der längste Liniendienst bei Hapag-Lloyd, von Hamburg einmal über den Atlantik, durch die Karibik und den Panamakanal, die Westküste Nordamerikas rauf, dann über den Pazifik bis nach Asien und dann wieder zurück – eine lange Reise, aber zum Teil landschaftlich sehr reizvolle Ecken, durch die man da fährt. Wenn wir mit unserem Containerriesen die Aleuten passieren, bei oft eiskaltem Wind und bester Fernsicht, (was wiederum nicht immer der Fall ist), dann weiß ich, warum es sich so gelohnt hat, diesen Beruf zu ergreifen.

Entlegene, aber sehr schöne Regionen der Welt habe ich auch bei den Kreuzfahrern kennen und schätzen gelernt. Aber bis dahin, bis ich an Bord der „Bremen“ in die Arktis und Antarktis fuhr, war es ein ganz schön langer Weg, mit einigen Haken. Nachdem ich die Absage für den Pilotenberuf erst einmal verdauen musste, habe ich begonnen, Maschinenbau in Ingolstadt zu studieren, ein duales Studium, welches auch die Ausbildung zum Werkzeugmacher, Dreher oder Fräser beinhaltete. Maschinen faszinieren mich bis heute. Ich bin Schrauber geblieben, und das mache ich am liebsten an einem meiner beiden Roller. Beides Vespas, beide noch echte Blechroller. Eine Fahrt von München zum Baden an den Starnberger See damit ist eine herrliche Sache. Ich bin auch schon mit nur einer Übernachtung die 800 Kilometer von meinem (Nautik-)Studienort Elsfleth nach München gefahren. Am meisten aber freue ich mich drauf, wenn mal wieder die Komplett-Überholung eines Rollers fällig ist.

Schon im ersten Semester Theorie bei den Maschinenbauern wurde mir allerdings klar, dass das nicht meine Welt ist. Da war kein Teamgeist zu spüren, da feilte fast jeder allein an seiner Karriere und setzte dafür auch gern mal die Ellbogen ein, damit er nach den ersten Prüfungen, die etwa die Hälfte der Studierenden nicht besteht, noch dabei ist. Das war nichts für mich. Ich möchte mit anderen zusammen arbeiten, nicht gegen sie.

So, wie ich das in München im Rettungsdienst kennen gelernt hatte. Dort hatte ich im Rahmen meines Zivildienstes die Ausbildung zum Rettungssanitäter absolviert und bin im Anschluss an meine Dienstzeit noch eine Weile bei den Ersthelfern geblieben. Da wissen alle: wenn man nicht als Team zusammen arbeitet, dann funktioniert es nicht. Ganz genauso ist es übrigens auch an Bord eines Schiffes: Ich bin jetzt zwar der Kapitän und damit der Chef. Aber ohne mein Team bin ich gar nichts.

Doch der Start auf See war alles andere als leicht. Es gab zwar in der Familie großmütterlicherseits ein paar Seeleute, Walfänger und U-Bootfahrer, und mein Urgroßvater war Schiffsmaschinist. Auch war mein Vater bei der französischen Marine. Allerdings selbst irgendwann einmal zur See zu fahren, das war kein Kindertraum von mir – dafür lebt man als Bayer vielleicht auch zu weit weg vom Meer.

Meine Entscheidung wurde auch nicht durch die maritimen Verbindungen innerhalb der Familie beeinflusst. Meine Freunde und mich hat aber schon immer die Neugierde raus in die Welt getrieben, mein Freundeskreis damals in der Schule und auch später ist eigentlich viel unterwegs gewesen. So wie wir mit 18, als ich gerade mal einen Führerschein hatte, mit einem VW Bus von daheim nach Griechenland gefahren sind. Eine Tour, die ich bis heute nicht vergesse.

Nach dem Ausflug zu den Maschinenbauern habe ich mir überlegt, wie ich wohl sonst meinen Traum, mehr von der Welt zu sehen verwirklichen könnte, wenn ich schon nicht Pilot werden durfte. Irgendwann kam mir dann die Idee mit der Seefahrt. Und ich bewarb mich für eine Ausbildung bei der bekanntesten Adresse, bei Hapag-Lloyd. Schon meine Mutter hatte als junge Frau Anfang der 1960er Jahre in der Durchfrachtenabteilung bei der HAPAG gearbeitet. Und wenn ich schon zur See fahren wolle, so meine Mutter, dann solle ich mich doch bitte bei Hapag-Lloyd bewerben. Ich aber bekam, freundlich, aber bestimmt, erst einmal eine Absage.

Bei der Columbus Linie, einer Tochter von Hamburg Süd, bin ich dann aber erfolgreicher gewesen. Meine erste Reise sollte mich im Jahr 2003 gleich über den Pazifik führen, auf der „Columbus Florida“, einem eher kleinen Schiff mit Platz für 1700 Standardcontainer. Anmustern in Long Beach, und dann nach Neuseeland und Australien und über Fidschi-Inseln und Hawaii zurück nach der Westküste der USA, das Ganze drei Mal hintereinander. Eigentlich ja traumhafte Gegenden dieser Welt. Aber nach einer Woche an Bord habe ich mir gesagt: nein, das mit Dir und der Seefahrt, das funktioniert nicht. So weit weg von zu Hause, und das für so lange Zeit – das schien mir unvorstellbar damals. Ich denke, ich hatte schlicht Heimweh.
Aber ich habe die sechs Monate durchgezogen, und das war auch gut so. Ganz nebenbei hat mich die Seefahrt eben auch gelehrt, welchen großen Wert eben eine Heimat hat. So gern ich meinen Job heute mache: ich freue mich ganz ehrlich jedes Mal aufs Heimkommen, auf meine Freundin, auf meine Familie, meine Freunde und mein Zuhause. Das Heimweh wurde später schnell weniger, aber so ein kleines bisschen spüre ich immer noch. Spätestens, wenn die Hälfte des jeweiligen Einsatzes vorüber ist.

Ich bin übrigens kein echter Bayer, zumindest nicht so, wie die Klischees, die es über uns gibt. Ich besitze zwar sogar zwei Lederhosen und auch einen Janker, aber diese Kleidung trage ich nicht täglich. Mein Vater ist Franzose, ich habe neben dem deutschen auch einen französischen Pass. Ich fühle mich irgendwo dazwischen. Manchmal träume ich sogar auf Französisch.
Aber ich lebe bewusst bis heute in meiner Heimatstadt München, in der ich aufgewachsen bin, und ich bin gerne zu Hause. Der Ruf der Berge und des Voralpenlandes ist einfach zu stark. Die Nähe zu Italien und dem Mittelmeer macht die Region zusätzlich reizvoll. Und bis nach Südfrankreich ist es zwar kein Katzensprung, aber verglichen mit den Distanzen, die ich beruflich zurücklege, ist es dann doch nicht so weit. Daheim, wenn ich mal nicht an Bord bin, mache ich, was ein Münchner so tut: die Vorzüge seiner Region genießen – also wandern, Rad fahren, mit dem Schlauchboot die Isar hinunter und im Winter Ski. Aber mein Hochdeutsch ist, glaube ich zumindest, ganz in Ordnung.

In Elsfleth an der Weser habe ich dann von 2003 bis 2007 Nautik studiert, und danach hat mich Hapag-Lloyd Kreuzfahrten shanghait, wie man so sagt. Auf der „Bremen“ einem dieser wendigen kleinen Expeditionsschiffe, war der Posten des Navigationsoffiziers vakant. Ich habe zugegriffen, und das hat mir einige tolle Reisen in die polaren Regionen dieser Welt beschert. Grönland, Spitzbergen, die Nordwestpassage und andererseits die Antarktis oder Feuerland, einschließlich der Magellanstraße und Kap Hoorn – da ist es zwar meist kalt, aber Natur und Tierwelt sind ungemein faszinierend. Ich habe Gegenden der Welt gesehen, wofür andere Menschen viel Geld zahlen.

An Bord der „Bremen“ habe ich auch viele ungemein interessante Menschen kennen gelernt, man kommt da sehr schnell und direkt in Kontakt. Und die allermeisten, die ja eben doch ein bisschen vermögender sind, sind im Umgang nicht nur freundlich, sondern auch unkompliziert. Doch neun Monate im Jahr auf See zu sein, das war für mich, den Heimatsuchenden, ein bisschen zu viel. Und so kam ich zurück auf die Containerschiffe, und 2009 dann doch zu Hapag-Lloyd.

Daheim in München, im Freundeskreis, bin ich mit meinem Beruf bis heute ein Exot. Ich wirke als Tenor in einem Chor mit, den ich mit ehemaligen Schülerinnen und Schülern meines früheren Gymnasiums gegründet habe. Wir singen seit 2012 als Vokalensemble anspruchsvolle klassische Stücke von Bach, Brahms, Schostakowitsch oder Britten. Aber auch mal philippinische Volkslieder. Ich habe damals einen philippinischen Matrosen an Bord gebeten, uns über WhatsApp die Lieder zu singen, damit wir eine Vorstellung von ihnen bekommen. Leider kann ich berufsbedingt nicht an allen Konzerten mitwirken.

Wenn Menschen vor allem in meiner Heimat mich dann neu kennen lernen, haben sie immer ganz viele Fragen. Wie ist das an Bord, wie viele seid ihr, was gibt es zu essen, was hast Du als Kapitän zu tun? Ich erkläre das dann immer so, dass ich eine Art Betriebsleiter bin – nur schwimmt eben mein Betrieb. Und er läuft rund um die Uhr. Das macht ihn ungemein spannend. Nur zwei Mal musste ich in der Zeit als Kapitän an Bord laut werden, ich sehe mich eher als Moderator, oder eine Art Reiseleiter. Ruhig und bestimmt läuft es nach meiner Erfahrung fast immer besser. Und ganz ehrlich, ich habe keine Freude daran laut zu werden.

Über Langeweile habe ich mich noch nie beklagen müssen. Vielleicht über ein bisschen zu viel Papierkram. Mich reizt es ehrlich gesagt, vor Ort Entscheidungen treffen zu müssen und das mitunter in ganz kurzer Zeit. Entscheidungen, bei denen es vielleicht nicht um Leben und Tod geht, und ich hoffen auch, dass ich nicht in so eine Situation komme. Aber immerhin um die Frage, wie wir viel Geld sparen können – oder hohe Kosten verursachen.

Einen Unfall hatte ich, toitoitoi, bis heute nicht. Nur einmal eine Beinahe-Kollision vor Shanghai, einem der verkehrsreichsten Reviere der Welt. Durch ein Hartruderlagen-Manöver haben wir gerade noch den Zusammenstoß verhindert.
Für mich müssen es auch nicht die ganz großen Containerschiffe sein, die bis zu 20.000 Standardcontainer tragen können. Wichtig ist mir vor allem, dass ich das Schiff fahren kann, dass ich bei den Manövern dabei bin. Denn dafür bin ich schließlich Kapitän geworden.