Er liest lieber John Irving und Thomas Mann statt Krimis, zieht Dorf und Gartenarbeit der Großstadt vor und bezeichnet sich selbst als Feministen: Kapitän Frank-Jürgen Schmidt fährt seit 45 Jahren zur See, 27 davon für Hapag-Lloyd. Hier erzählt er von Lehrjahren und Wendezeiten und warum er zwei Mal für 10 Wochen mit der Aktentasche in Südkorea unterwegs war.
„Kindheit und Jugend habe ich in Ost-Berlin verlebt, da gab es einen Seesport-Marinestützpunkt, wo man segeln und rudern konnte. Dort entstand auch der Wunsch, zur See zu fahren. Es war ja damals die einzige Möglichkeit, die Welt zu sehen“, erzählt Frank-Jürgen Schmidt. Der damals 17-jährige Ost-Berliner ging in die Lehre zur Ausbildung als Vollmatrose der Handelsschifffahrt, absolvierte sein Fachabitur und studierte schließlich Nautik in Warnemünde/Wustrow. Schmidt macht keinen Hehl daraus, dass er früh in die SED eingetreten war. „Ich war jung, hatte Ideale, dachte, ich könnte helfen, die Welt besser zu machen.“
Die ersten Reisen gingen mit dem Lehrschiff gleich rüber nach Kuba und die frühen Jahre als Matrose auf Kümos entlang Europas. Die erste richtig große Fahrt auf dem Stückgutfrachter „Halle“ führte den frisch gebackenen Dritten Offizier in den Persischen Golf und nach Indien. Und auf dieser Fahrt ging so ziemlich alles schief, was schiefgehen kann: „Technische Ausfälle, Ladungsschäden, ein Streik der Hafenarbeiter in Kuwait und die – bis heute ungeklärte - Verminung des Seeweg im südlichen Roten Meer, das hatte ich so noch nicht erlebt“, erzählt Kapitän Schmidt: „Zudem herrschte Anfang der 1980er Jahre der Golfkrieg zwischen dem Irak und dem Iran und die Häfen waren im Ausnahmezustand. Dann gerieten wir noch in den sehr intensiven SW-Monsun und hingen schließlich drei Wochen in Kalkutta fest.“ Kapitän Schmidt fand das alles eher spannend als beängstigend. Die Welt zu entdecken, fremde Kulturen zu erleben, war für ihn ein absolutes Privileg.
Klar waren in der DDR-Schifffahrt manche Dinge anders als später nach der Wende: „Es waren ausschließlich Deutsche an Bord und Landgang als Einzelperson war verboten“, berichtet der 62-jährige. Auch mit Alkohol wurde anders umgegangen. Der war streng limitiert, nur alle zehn Tage gab es eine Flasche Schnaps pro Mann, „Da wusste man schon im Voraus, wann mit der Mannschaft nichts anzufangen war“, erzählt der Kapitän: „Bei Hapag-Lloyd gibt es solche Beschränkungen nicht – und Situationen wie damals auf den DDR-Schiffen habe ich so nie erlebt.“
Die Wende 1989 erlebte Frank-Jürgen Schmidt mitten in der Nacht auf dem indischen Ozean. „Am 4. Oktober waren wir von Rostock aus losgefahren und am 7. Oktober lagen wir in Bremen. Da gab es noch einen Blumenstrauß zum 40. Bestehen der DDR von unserem lokalen Agenten in die Hand gedrückt. Dann ging es Richtung Indien. Als ich am 9. November auf Wache kam, begrüßte mich der Zweite Offizier mit den Worten: ,Die Mauer ist offen!‘. Meine erste Reaktion weiß ich noch genau. Ich dachte: ,Jetzt kann ich auch mal im Wannsee baden gehen und mit meinem „Trabant“ um die Siegessäule fahren!‘ Genau das habe ich später auch gemacht.“
Erst im März 1990 kamen Schiff und Crew wieder nach Deutschland zurück. „Meine Frau und mein Sohn besuchten mich dann schon in Bremen. Die Demonstrationen zu Hause in der DDR waren da bereits vorbei, jetzt sah ich nur überall Leute mit Aldi-Tüten statt Plakaten mit politischen Forderungen“, erzählt Frank-Jürgen Schmidt und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Schmidt gehört zu den wenigen, die dazu stehen, dass sie nicht ausschließlich von der neuen Freiheit begeistert waren. „So schnell wie manche Leute umgeschwenkt sind, das konnte doch gar nicht sein!“
Mit den ersten Entlassungswellen der DSR ahnte der damals 31-jährige, dass er sich einen neuen Job suchen musste. Seine erste Anlaufstelle: Hapag-Lloyd. „Ich dachte, ich fang oben an, Abstriche kann ich immer noch machen.“ Auf seine Bewerbung bekam er erst eine Absage, aber dann, wenige Monate später kam mit der Post die Aufforderung, seinen Arbeitsvertrag zu unterschreiben. „Ein richtiges Vorstellungsgespräch hat es nicht gegeben“, lacht der sonst eher zurückhaltende Mann.
Mit Hapag-Lloyd fing für Frank-Jürgen Schmidt ein neues Kapitel an. „Adäquate Bezahlung und gute Rahmenbedingungen waren das eine. Aber am besten gefiel mir, dass mich niemand stigmatisierte als Ostdeutschen! Das Gegenteil war der Fall, damals hatte Hapag-Lloyd sogar Nachwuchssorgen.“ Als Zweiter Offizier fing er an, dann hängte er noch ein Studium dran für das technische Patent. „Die Idee war damals, dass man mit Doppelpatent sowohl auf der Brücke als auch in der Maschine Verantwortung übernimmt. Ich fand das recht spannend. Aber als ich dann nach dem Studium als Zweiter Ingenieur an Bord und auch noch alleiniger Elektriker vom Dienst war, merkte ich: Das ist alles gut zu wissen, aber nicht meins.
Mit 41 wurde Schmidt als erster Ostdeutscher bei Hapag-Lloyd Kapitän. „Wenn Du plötzlich der Chef an Bord bist, guckst Du Dir die See- und Wetterkarten natürlich noch mal genauer und mit ganz anderen Augen an, und mit Deinen Zweifel bist Du erst mal allein. Aber ich empfand das als gute Herausforderung!“ Das Führen der Crew bezeichnet er als unkompliziert. „Klar musste ich auch in seltenen Fälle durchgreifen. Einmal schickten wir einen Koch nach Hause, weil das Essen ungenießbar war, einmal gab es eine Schlägerei an Bord. Ich beendete sie, indem ich den Angreifer ins Bett schickte. Erst hinterher bemerkte ich, dass da ein Messer im Spiel war. Aber solche Situationen blieben die Ausnahme.“
Und welche Häfen gefielen ihm besonders?„New Orleans war toll, die bunt gemischte Szene im French Quarter, die Jazzmusik – großartig“, schwärmt Schmidt. „Aber auch Singapur ist und bleibt ein einmaliger Hafen. Wie die Leute es dort schaffen, so viele Nationalitäten unter einen Hut zu bringen, das ist schon beeindruckend.“
Besonders gern erinnert sich der Kapitän auch an den Neubau der „Tsingtao Express“ 2007 und der „Hamburg Express“, 2012 , die er jeweils 10 Wochen lang in Ulsan, Südkorea, begleiten durfte: „Zu sehen, wie von Anfang bis Ende ein Schiff entsteht, wie alle Teile zu einem werden, das ist faszinierend. Die „Hamburg Express“ war damals das größte Containerschiff unter deutscher Flagge!“, erzählt Frank-Jürgen Schmidt stolz. Fast drei Monate dort an Land zu leben war für ihn besonders: „Ich ging morgens zur Arbeit, begutachtete mit dem fünfköpfigen Team, ob auch alles so gebaut wurde, wie es sein soll und ging abends mit der Aktentasche unterm Arm nachhause – so ein Leben kannte ich gar nicht.“
Kapitän Schmidt charakterisiert sich selbst als eher nordisch kühlen Typ, der lieber liest, als in großer Runde zu Feiern. Auch Kreuzschifffahrt wäre nicht seins, weil er weder tanzen könne noch gut im Small Talk sei. Literatur bleibt – neben der Gartenarbeit daheim bei Wittenberge – seine große Leidenschaft: „Isabel Allende, John Irving, aber auch die deutschen Klassiker wie Heinrich und Thomas Mann mag ich. Von Irving hat mich am meisten ,Gottes Werk und Teufels Beitrag‘ fasziniert. Dass Irving als Mann Feminist ist, beeindruckt mich.“ Würde sich Kapitän Schmidt selbst als Feministen bezeichnen? „Ich bin schon sehr für die Gleichberechtigung, insofern habe ich damit kein Problem“, sagt er. Kolleginnen an Bord hat er immer geschätzt: „Frauen reagieren besonnener und haben eine ausgleichende Wirkung“, findet der Kapitän.
Seinen eigenen Ausgleich wird Frank-Jürgen Schmidt zukünftig nicht mehr im Blau der Ozeane, sondern im Grün seines 2000 Quadratmeter großen Gartens, der dörflichen Idylle und bei seiner Familie finden. Seit dem 19. Oktober genießt er seinen Ruhestand. Drei Tage vor dem letzten Arbeitstag kam sein zweiter Enkel zur Welt. Langweilig wird es wohl nicht.