Jahrelang haben Firmen aus Industrieländern ihre Produktion in Billiglohnländer verlagert. Doch allmählich kehrt sich der Trend um. Adidas etwa produziert vollautomatisch in „Speedfactories“ per 3D-Druck hippe Laufschuhe in Deutschland und den USA. Bosch baut seine neue Chipfabrik in Sachsen. Viele neue Jobs entstehen so aber nicht, nur eine Branche wird kräftig profitieren.
Mehr als 200 US-Dollar kostet heute ein Paar „AM4 New York“ beim amerikanischen Sportschuhriesen „Foot Locker“. AM4 steht für „Adidas Made for“ und dahinter verbirgt sich schuh- und produktionstechnisch eine Revolution. Denn die bunten Adidas-Laufschuhe werden vollautomatisch in riesigen 3D-Druckern in sogenannten „Speedfactories“ produziert – nach den Wünschen und speziellen Bedürfnissen der Läufer. Es gibt bereits Schuhe ausgelegt für unterschiedliche Laufstrecken in Paris, Los Angeles, New York, Tokio und Shanghai.
Eine „Speedfactory“ steht in Bayern, Deutschland und eine in Atlanta, in den USA. Rund eine Million Paar Schuhe sollen in diesem Jahr gedruckt werden. Zum Vergleich: Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 409 Millionen Paare produziert. Nur noch 320 Arbeitsplätze gibt es in den beiden Fabriken. Die Personalkosten fallen also kaum ins Gewicht. Ein gutes Geschäft. Aber auch ein Zukunftsmodell?
Einen Gutteil seiner 50.000 Mitarbeiter beschäftigt Adidas immer noch in Niedriglohnländern. Und das wird auch so bleiben. Weitere „Speedfactories“ sind derzeit nicht geplant, sagt Adidas-Sprecherin Claudia Lange. Aber das neue Know-how aus den hoch automatisierten und digitalisierten „Speedfactories“ soll künftig soweit wie möglich auch in den bestehenden Fabriken in Asien umgesetzt werden. Das wird dort die bereits stark gestiegenen Lohnkosten kompensieren.
In Branchen wie Pharma-, Elektronik- oder auch der Autoindustrie führt die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung allerdings seit längerem dazu, dass neue, hoch automatisierte Fabriken gleich in der Heimat gebaut werden – oder Produktion aus Asien zurückverlagert wird. Der Autozulieferer Bosch errichtet zum Beispiel gerade für eine Milliarde Euro ein Chipwerk in Dresden, im Osten Deutschlands. Einige US-Pharmafirmen produzieren nach Jahrzehnten im Ausland wieder zuhause. Caterpillar montiert anstatt in Japan kleine Bulldozer in Georgia, Tesla baut seine E-Mobile in Kalifornien.
Der neue Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft IfW, Gabriel Felbermayr, beobachtet schon seit geraumer Zeit, dass die Verlagerung von Jobs aus Industrie- in Niedriglohnländer – das sogenannte Offshoring – „sichtlich ins Stocken geraten ist.“ In vielen Bereichen beobachte man gar ein Reshoring. Wissenschaftler des Karlsruher Fraunhofer Instituts haben in regelmäßigen Befragungen herausgefunden, dass weniger Betriebe aus Deutschland Fertigung ins Ausland verlagern, als noch vor zehn bis fünfzehn Jahren.
Auch in der schnelllebigen Textilindustrie wird angesichts neuer Technologien gerade in vielen Topetagen neu gedacht. Heute sind ein T-Shirt oder eine Jeans aus Südostasien oft noch bis zu 30 Tage unterwegs, bevor sie bei Zara, Macys oder H&M in den Läden hängen. Ein Modezyklus wird aber in Zukunft immer kürzer. McKinsey-Berater prognostizieren, dass solch ein Zyklus, getrieben durch Instagram und Co. nicht mehr sechs Monate, sondern nur noch sechs Wochen dauern wird. Wer weiter Geld verdienen will, muss also künftig sehr viel schneller produzieren und liefern. Das geht aber nur, wenn viel mehr marktnah designt und genäht wird.
Und diesen Trend verstärken derzeit vor allem neuartige Nähroboter, sogenannte Sewbots. So glauben nach einer Umfrage ein Drittel der Einkaufschefs befragter Bekleidungsunternehmen, dass Automation den Trend zum „Reshoring“ weiter verstärken wird. Sewbots haben das Potenzial, schon bald weltweit die ganze Textilbranche umzukrempeln. Zu besichtigen ist dies derzeit in Little Rock in Arkansas, in den USA. Hier hat die chinesische Firma Tianyuan Garments eine neue Fabrik eröffnet und dort 330 Roboter der US-Firma SoftWear Automation aufgebaut. Sie sollen künftig pro Jahr 23 Millionen T-Shirts nähen. An einem Acht-Stunden-Tag produziert ein mit Sensoren und Kameras gut bestückter Nähroboter heute rund 1.142 T-Shirts. Zehn Menschen stellen in einer normalen Produktionslinie während derselben Zeit 669 Stück her. Die Fabrik ist für Tianyuan-Chef Tang Xinhong ein Meilenstein in der Unternehmensgeschichte und er ist sicher: „Weltweit kann selbst der billigste Arbeitsmarkt nicht mit uns konkurrieren.“
Ein Grund für die Ansiedlung der neuen Fabrik in Arkansas ist allerdings wohl auch die Handelspolitik der Trump-Administration. Angeblich dürfen die neuen Sewbots von SoftWear Automation nicht ins Ausland verkauft werden. Und die Angst vor steigenden Import- und Strafzöllen hat in den vergangenen Monaten nicht nur chinesische Unternehmen wie Tianyuan oder den taiwanesischen iPhone-Hersteller Foxconn, sondern auch die größten deutschen Autobauer dazu gebracht, bereits in den USA bestehende Fabriken auszubauen oder ganz neue zu planen.
Umgekehrt treibt Trumps aggressive Handelspolitik US-Unternehmen wieder verstärkt ins Ausland. So hat die EU vor kurzen Vergeltungszölle im Umfang von 2,8 Milliarden Euro auf amerikanische Produkte verhängt, weil die Vereinigten Staaten ihrerseits die Zölle auf Importe von Stahl und Aluminium erhöht hatten. Deshalb will nun der uramerikanische Motorradbauer Harley-Davidson Teile seiner US-Produktion ins Ausland verlagern.