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Kapitän March: Weltenbummler an Land und auf See

Vom einfachen Decksjungen zum Kapitän: Johannes March über Übelkeit im Kabelgatt, Globalisierung an der Westküste Südamerikas und ein Leben mit echter Kameradschaft und guten Freunden.

Wer mit Johannes March unterwegs ist, kann weit zurück in die Vergangenheit der Seefahrt reisen. Eine Zeit, in der Decksjungen mitunter noch wie Sklaven behandelt wurden, schikaniert von vorgesetzten Matrosen, die es, oft mit viel Alkohol im Blut, nicht besser wussten. Ein Leben auf See mit Stürmen und Geschichten, wie sie es nur in der Vorcontainerzeit gegeben hat. Aber auch ein Leben mit echter Kameradschaft und guten Freunden, mit denen man als junger Kerl fremde Häfen, Länder und Städte entdeckte, die in den 1960er Jahren noch ganz anders aussahen als heute.

Kapitän Johannes March in Zahlen: 77 Jahre alt, 47 Jahre bei Hapag-Lloyd, davon 17 auf See und 30 an Land. Seine Arbeitseinsätze umspannen den Globus: Mal Tokio, dann ein Hafenprojekt in Saudi-Arabien, fünf Jahre mit Familie in Santiago de Chile, vier in London, dann zum Stammsitz von Hapag-Lloyd Hamburg, drei Jahre Korea und wieder zurück in die Hansestadt. Ein bewegtes Leben zu Wasser und zu Land.

„Meiner Mutter war es damals gar nicht Recht, dass ich zur See fahren wollte. Im Gegensatz zu meinen Brüdern interessierte mich die Schule nicht sonderlich. Sport, besonders Fußball war mein Ding. Dass ich Kapitän werden wollte, wusste ich schon als kleiner Junge. Wenn ich am Rhein daheim bei uns in Neuss stand und den halb abgeladenen Küstenmotorschiffen zusah, wie sie in den Sonnenuntergang seewärts entschwanden, packte mich das Fernweh.“

Mit 17 setzte er seinen Traum in die Tat um. „Während meine Brüder Abitur machten, studierten und als Historiker, Pädagogen beziehungsweise in der höheren Verwaltungslaufbahn ein gutbürgerliches Leben antraten, galt ich als der verlorene Sohn. Rehabilitiert war ich erst Jahre später, als ich mit Kapitänspatent und einer guten Flasche Wein nach Hause kam. „Mutter“, sagte ich, „Dein Sohn ist jetzt befähigt, jedes deutsche Handelsschiff jeglicher Art und Größe auf allen Weltmeeren zu führen. Das hat sie dann doch stolz gemacht.“

Nach seiner Ausbildungszeit auf dem Schulschiff „Deutschland“ ging es als Erstes auf die „MS Innstein“ Richtung Nordamerika. Eine harte Zeit. „Als Decksjunge warst Du Ende der 1950er Jahre weder Mensch noch Seemann, das solltest Du an Bord erst werden“, berichtet March. „Die Mannschaft bestand aus vielen alten Seeleuten. Männer, die den Krieg erlebt hatten, viele, die tranken und uns die harte Arbeit machen ließen.“ Auf seiner ersten Reise zog schlechtes Wetter auf, die hohe Dünung bescherte March seine erste heftige Seekrankheit. „Zum ‚Auskurieren‘ schickten mich die Matrosen zum Aufklaren ins Kabelgatt im vordersten Teil des Schiffes. Dort sauste der Bug wie ein Fahrstuhl rauf und runter, die Anker schlugen dröhnend an die Rumpfwand. Ich hab mir – man kann es nicht anders sagen – die Seele aus dem Leib gekotzt.“

Mit seinem Wechsel auf die MS Buchenstein änderte sich das Leben des jungen Johannes March schlagartig: „Es ging an die Westküste von Südamerika! Endlich traf ich auf gleichgesinnte junge Leute, die, so wie ich, ihr Kapitänspatent machen wollten. Interessante Menschen und eine großartige Kameradschaft untereinander.“ Dazu die südlichen Breiten, der neue Kontinent, das Wetter: „Das war wie im Himmel, eine tolle Zeit!“, so March. Zwei Dinge nahm der zukünftige Kapitän aus dieser Zeit mit: „Nirgends gibt es so viele verschiedenen Menschen wie unter Seeleuten. Es waren schlichte und hochintellektuelle Menschen darunter, sogar einen Künstler lernte ich kennen.“ Allen gemeinsam war die unabdingbare Loyalität zum Schiff: „Es war unser Dampfer, auch wenn er uns gar nicht gehörte. Und gemeinsam haben wir auf ihn aufgepasst!“ Dieses Verantwortungsgefühl hat ihn bis heute nicht losgelassen.

Mit 23 Jahren macht March seinen „Steuermann auf großer Fahrt“ mit 27 Jahren hat er das Kapitänspatent in der Tasche. In Ostasien und Zentralamerika ist er auf Stückgutfrachtern als 3., 2. und schließlich 1. Offizier unterwegs, im Nordatlantik auf den ersten Containerschiffen. Was 1971 folgt, ist hautnah erfahrene Globalisierung. March erlebt die Fusion der Norddeutschen Lloyd in Bremen mit der Reederei Hapag zu Hapag-Lloyd in Hamburg. Und damit die Umwandlung von Stückgutfracht in Containerschifffahrt. „Plötzlich war mir klar, dass ich möglicherweise erst mit 50 Kapitän werden würde. Denn statt der 116 Stückgutfrachter erledigten mit der Zeit 30 Containerschiffe die weltweiten Transporte. Es wurden an Bord einfach nicht mehr so viele Kapitäne gebraucht.“

In der Folgezeit ging es mit verschiedenen Schiffen immer wieder in seine Lieblingsregion, die Westküste Südamerikas. Und nachdem er als Projektbeauftragter einer Konferenzstudie zur „Bestimmung des wirtschaftlichsten Schiffssystems für den Südamerika-Dienst“ mitgearbeitet hatte, bot ihm Hapag-Lloyd einen Posten als Repräsentant in Südamerika und für die Einführung eines Semi- und später Vollcontainerdienstes an. Von Bord gehen, festen Boden unter den Füßen haben – eine neue Erfahrung.

Fünf Jahre verbrachte March mit Frau und beiden Töchtern in Santiago de Chile. „Nicht nur für mich, sondern auch für meine Frau und die Kinder eine erlebnisreiche Zeit. Die Natur, das Klima! Mindesten drei Monate im Jahr konnte man sowohl Baden gehen als auch rauf in die Berge und Skifahren.“ March steuerte von Santiago de Chile die Containerisierung der wichtigsten Häfen entlang der Küste.

Als nach fünf Jahren das Angebot kam, als Managing Director des CAROL (Caribbean Overseas Lines) nach London zu gehen, packten Familie March erneut die Koffer. „CAROL war ein Verbund aus je einer britischen, französischen, holländischen und deutschen Reederei, der turnusmäßig von einem Manager geleitet wurde. Ich habe sehr viel gearbeitet in dieser Zeit. Aber wir genossen auch das kulturelle Angebot Londons.“

Nach vier Jahren zog es den umtriebigen Johannes March nach Hamburg an den Ballindamm. Hier übernahm er als leitender Angestellte die Verantwortung für das Fahrtgebiet Indonesien. „Steuerung, Operating, Marketing, Controlling und Kostenmanagement – wir berichteten direkt an den Vorstand, da ging es um viel Geld und Verantwortung. Ich habe niemals einen Nine-to-five-Job gemacht, war ein echter Workaholic.“ Ob das immer so richtig war? „Im Nachhinein würde ich sagen, dass die Vorteile überwiegen“, resümiert March.

Drei Jahre verschlug es den Weltenbummler noch nach Seoul in Südkorea. „Da ging es darum, die fremde Agentur abzulösen und eine eigene Dependance zu eröffnen, das habe ich in den 1990er Jahren vorangetrieben.“ Aber als man dem damals 55-jährigen eine Verlängerung anbot, lehnte er ab und nahm eine angebotene Position an, die ihm und seiner Familie die Rückkehr nach Hamburg ermöglichte.

Als March mit 65 in Rente ging, prophezeiten ihm seine Kollegen das berühmte Loch, in das er fallen würde. March schüttelt den Kopf: „Das habe ich nicht ein einziges Mal so empfunden. Es gibt ein Leben nach der Arbeit. Und ich konnte endlich das tun, wozu ich sonst nie Zeit hatte!“