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Der Beruf war von Kindheit an ihr Ziel: Kapitänin Silke Muschitz im Porträt

Auf der Brücke der „Fehmarnbelt“ ist die alte Seefahrt noch lebendig: Es gibt ein großes, hölzernes Steuerrad, einen messingummantelten Telegrafen, mit dem Befehle an die Maschinisten übermittelt werden, Sprachrohre aus Eisen, die in den Maschinenraum, den Funkraum und die Kapitänskammer führen. Wenn sie Urlaub hat und zu Hause im norddeutschen Lübeck ist, fährt Silke Muschitz gern auf dem alten Schiff mit. Als jüngste Kapitänin von Hapag-Lloyd steuert sie beruflich das 8.700 TEU Schiff „Chicago Express“.

Silke Muschitz hat vor einem halben Jahr ihr Kapitänspatent empfangen – kurz darauf ging sie für dreieinhalb Monate auf große Fahrt, die sie buchstäblich einmal um die Welt führte: Von Barcelona durchs Mittelmeer und den Suezkanal nach Asien und Amerika, durch den Panama-Kanal, über den Atlantik und zurück nach Europa. Sie ist eine von zwei Kapitäninnen bei Hapag-Lloyd und mit 32 Jahren die Jüngste der 120 Kapitäne. Das Schiff „Chicago Express“, für das sie verantwortlich ist, misst 335 Meter in der Länge und hat eine Maschine, deren Leistung mehr als 150-mal größer ist als die der „Fehmarnbelt“.

Geboren wurde Muschitz in Salzburg. Ihr Vater war Diplomat, weshalb sie an ständig wechselnden Orten auf der ganzen Welt aufwuchs, wo sie jeweils auf deutsche Auslandsschulen ging. Aus ihrem Hochdeutsch lässt sich kein regionaler Akzent heraushören. „Ich komme aus einer Familie, wo niemand was mit Seefahrt zu tun hat“, sagt sie. Ihr Berufswunsch stand dennoch seit ihrer Kindheit fest: „ich hatte immer nur ein Ziel vor Augen: Kapitänin zu werden.“ Nach Lübeck zog Muschitz schon vor neun Jahren, nachdem sie ihr Studium abgeschlossen hatte – weil sie ans Meer wollte. Ihre Eltern folgten ihr.

Schon immer hätten Schiffe sie fasziniert, erzählt Muschitz. „Das ist eine kleine, eingeschworene Gemeinschaft an Bord. Wie eine kleine Familie – mit allem, was in einer Familie geschehen kann. Denn man hat nicht viele Möglichkeiten, den Leuten aus dem Weg zu gehen.“ Konflikte entstünden meistens aus Lappalien, etwa weil der eine dem anderen nicht richtig guten Morgen gesagt hat. Was machen Kapitäninnen anders als Kapitäne? Silke Muschitz hat drauf keine allgemeine Antwort. „Jeder Kapitän hat seinen eigenen Stil“, sagt sie. „Ob es ein Mann oder eine Frau ist, spielt keine Rolle.“

Auf der „Chicago Express“ ist sie nicht nur für die 23-köpfige Stammbesatzung, sondern auch für zwölf Auszubildende verantwortlich. Ihr Stil, wie sie ihn selbst beschreibt, ist klar und selbstbewusst. „Einer hat den Hut auf, einer hat die Verantwortung. Ich habe am Anfang klar gesagt, wie ich mir die Reise vorstelle.“ Drei Eigenschaften seien entscheidend: „Es kommt darauf an, dass man fair ist, tolerant und kompetent.“

Sie will durch ihr Vorbild auf andere wirken, nicht durch ihre Stellung. „Wenn ich schlecht geschlafen habe und das alle wissen lasse, dann trägt das nicht zum Bordfrieden bei.“ An Bord fördert sie den Zusammenhalt – und nennt die gemeinsame Gestaltung von Grillabenden als ein Highlight für die gesamte Mannschaft.

Warum es nur so wenige Kapitäninnen gibt – dafür sucht sie selbst nach einer Antwort. „Es ist doch am Ende des Tages ein technischer Beruf“, sagt sie und vermutet, dass dies viele Frauen abschreckt. Aber Muschitz sieht Zeichen für eine Veränderung: Auf der letzten Ausbildungsfahrt, auf der sie als Erste Offizierin mitfuhr, seien acht von 36 Offiziersassistenten Frauen gewesen. Akzeptanzprobleme habe sie nicht erlebt, sagt sie. „Im ersten Moment gibt es bei manchen Lotsen oder Agenten eine kleine Schrecksekunde: Oh, eine junge Frau! Aber wenn man zeigt, dass man seine Aufgabe versteht, macht das nicht mehr viel aus.“

Glück, sagt sie, empfinde sie jedes Mal, wenn ihr Schiff auslaufe. „Schiffe sind nicht dafür gebaut, im Hafen zu liegen.“ Auch im Urlaub ist sie gern auf dem Wasser – am Steuer der „Fehmarnbelt“ oder auf einem Segelboot. Wenn sie Zeit hat, nimmt sie gern an Regatten auf der Ostsee teil. Dann allerdings als einfaches Crewmitglied: „Da ist Urlaub und ich tu‘, was der Skipper verlangt.“