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Knirschend durchs Eis – eine Fahrt ins finnische Rauma

Wenn Schiffe durch dicke Eisschichten brechen müssen, ist dies eine besondere Herausforderung für die gesamte Besatzung. Eine Fahrt auf der „Emotion“ ins finnische Rauma

Der Himmel ist sternenklar, die Temperatur liegt knapp über dem Gefrierpunkt. Es ist fast Mitternacht, als Kapitän Joop van de Wijngaart mit der „Emotion“ auf den Southern Fairway zusteuert. Der Fairway führt nach Rauma, einer Stadt im Südwesten Finnlands. Mit viel Fingerspitzengefühl dreht van de Wijngaart den Feeder um etwa 45 Grad – so lange, bis sich das Licht des Positionslichts am Bug genau mit dem Licht des Leuchtturms trifft. „Die Passage ist sehr eng, hinter den Bojen wird es direkt felsig. Das Schiff mit ebenmäßigem Abstand durch die Bojen zu navigieren ist daher essenziell. Sonst läuft man schnell auf Grund“, erzählt er. Seit Kapitän van de Wijngaart 2016 eine Lotsen-Befugnis erhielt, navigiert er ohne Hilfe durch die Passage. Auf der Position am Eingang des Southern Fairway angekommen, wartet er, bis er das Okay vom Hafen in Rauma bekommt. Erst dann bewegt sich das 1.400-TEU-Schiff langsam und gleichmäßig vorwärts.

  „Das erste Mal ohne Lotse war schrecklich“, erinnert sich der gebürtige Niederländer. „An dem Tag war es so neblig, dass ich noch nicht mal den Vormast sehen konnte. Dann ist es wichtig, dir selbst zu vertrauen und mit Ruhe und Konzentration das Schiff zu navigieren.“ Denn der einzige Weg ist vorwärts: Drehen kann der Feeder in der schmalen Passage nicht.

Die Seefahrt wurde van de Wijngaart quasi in die Wiege gelegt: Sein Vater war Kapitän, er wurde auf einem Schiff geboren. Seit 40 Jahren fährt er selbst zur See, seit zehn Jahren fährt er ausschließlich Küstenschiffe.

Seit Beginn des Baltic-Sea-Express (BAX) 2013 sind die „Emotion“ sowie ihre Schwester „Empire“ als Charterschiffe Teil des wöchentlichen Dienstes und van de Wijngaart als Kapitän an Bord. „An dem Dienst gefällt mir die technische Herausforderung. Zudem mag ich die Verlässlichkeit des Dienstes: Er ist kurz, das macht ihn planbar.“ Eine Rundreise dauert etwa eine Woche.

180 Meter breit ist der Southern Fairway, 15 Seemeilen lang und an seinem tiefsten Punkt zehn Meter tief. Bei einer Geschwindigkeit von acht bis neun Knoten benötigt die „Emotion“ etwa zwei Stunden, um durch die Passage zu fahren. Immer genau in der Mitte zwischen den rot und grün leuchtenden Bojen hindurch. Obwohl die Ostsee an diesem Märzabend an der Einfahrt der Passage nicht durchgängig gefroren ist, liegen manche Bojen unter dem Eis und sind nur schwer zu erkennen. Kapitän van de Wijngaart kann das jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Entspannt sitzt er am Fahrstand mit Blick abwechselnd auf die Displays von Radar und elektronischer Seekarte (ECDIS) sowie aus dem Fenster zum Positionslicht am Bug – so weit die Sicht es hergibt.

Das Funkgerät piepst und rauscht. In regelmäßigen Abständen gibt der diensthabende Offizier die Position des Schiffes an den Hafen in Rauma durch. Ab und an verlässt er die Kommandoanlage und prüft von den Außenfahrständen aus, die sich jeweils links und rechts auf der Brücke befinden, den Abstand der Bojen zum Schiff. Die Besonderheit hier ist, dass die Außenfahrstände integraler Teil des Brückenhauses sind. Normalerweise sind sie draußen angebracht.
 

Für eine reibungslose Fahrt durchs Eis sind jedoch nicht nur die Offiziere gefordert, auch ein enger Austausch mit den Ingenieuren ist essenziell. „Wir sind eigentlich permanent mit der Brücke in Kontakt“, erzählt Valery Suhovs, Chief Engineer auf der „Emotion“. Der gebürtige Ukrainer fährt seit sechs Jahren auf dem Feeder für Hapag-Lloyd. „Um gut durchs Eis zu kommen, ist ein gleichmäßiges Tempo wichtig. Denn so behalten alle Beteiligten die Kontrolle über das Schiff. Ist das nicht gegeben, kann das Schiff schlimmstenfalls stecken bleiben und dann muss der Eisbrecher kommen, bevor man sich weiterbewegen kann.“

Die „Emotion“ ist nach der sogenannten Eis-Klasse zertifiziert. Solche Schiffe zeichnet aus, dass sie neben einem erheblich stabileren Rumpf auch eine höhere Maschinenleistung haben sowie dass ihre Propeller aus besonders widerstandsfähigen Metalllegierungen hergestellt sind. All diese Besonderheiten werden von der Klassifizierungsgesellschaft vorgegeben. „Durch eine Eisschicht von einem halben Meter bis zu 80 Zentimeter können wir mit der ,Emotion‘ problemlos durch, dafür brauchen wir keinen Eisbrecher“, erklärt Suhovs.

Aktuell sind die Winter recht mild, die Ostsee ist nur teilweise gefroren. „Die schlimmste Situation haben wir, wenn Packeis entsteht. Also wenn das Eis bricht, sich Lagen bilden und diese dann wieder zusammenfrieren. Da ist es sehr schwer, hindurchzukommen“, so van de Wijngaart.

Auf dieser Fahrt ist die Eisschicht jedoch dünn. Entlang der Passage gibt es vier Richtfeuer, an denen sich van de Wijngaart orientiert. „Im Grunde ist das meine Hauptnavigation durch den Kanal“, erklärt der Kapitän. Die Form der Passage erinnert ein wenig an ein „S“. Nach zweistündiger Fahrt durch teils gefrorenes Wasser, teils großflächige Eisschollen erreicht die „Emotion“ den Eingang des Hafens von Rauma. Dort nimmt sie ein Eisbrecher in Empfang. An einen kleinen runden, schwarzen Käfer erinnernd, pflügt er im Eiltempo durch das frisch zugefrorene Wasser, um den Weg zum Liegeplatz frei zu machen. Aber auch ohne dessen Hilfe wäre die „Emotion“ sicher durch das Eis navigiert.