Je praktischer, desto besser: Unsere Crews durchlaufen umfangreiche Schulungen während ihrer Laufbahn. Um auf dem neuesten Stand zu bleiben – und um hohe Sicherheitsstandards zu gewährleisten. Ein Besuch in Manila.
Die Sonne scheint durch die Brückenfenster und blendet fast ein wenig. Das Schiff steuert mäßig durch den Bosporus. Die Meerenge zwischen Europa und Asien, die das Schwarze Meer mit dem Marmarameer verbindet, ist eine der wichtigsten Wasserstraßen der Welt. Denn sie ermöglicht bedeutenden Küstenstreifen der Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres Zugang zum Mittelmeer und somit zum internationalen Seehandel. Links und rechts erstrecken sich an Land Wohnhäuser, prächtige Moscheen und Bürogebäude. Plötzlich fängt es heftig an zu regnen, fast zu hageln. Die Sicht ist eingeschränkt, trotz Scheibenwischer. Von Steuerbord taucht ein Kreuzfahrtschiff auf, der Offizier muss einlenken.
Im 270-Grad-Simulator des United Marine Training Centers (UMTC) in Manila scheint die Situation so reell, dass es sich fast so anfühlt, als wäre man tatsächlich auf einem Schiff. „Ziel unserer Trainings ist es, unsere Seeleute bestmöglich auf die Arbeit an Bord vorzubereiten. Wir haben den Anspruch, so praktisch wie möglich, so theoretisch wie nötig zu sein. Daher stehen praktische Anwendungen, Beispiele aus dem echten Leben und Simulationen bei uns im Mittelpunkt“, erklärt Donald Bautista, Managing Director des United Marine Training Centers (UMTC).
Das geht sogar so weit, dass Offiziere und Ingenieure in 24-Stunden-Simulationen die Arbeit auf der Brücke in Abstimmung mit dem Maschinenraum inklusive Schichtdienst nachempfinden. Außerdem leben die Kadetten direkt auf dem Campus, um sich an das Leben fern von Zuhause zu gewöhnen. „Mental ist das eine der größten Herausforderungen – seine Familie für längere Zeit nicht zu sehen. Und wir Filipinos sind nun mal sehr familienorientierte Menschen“, so Batista. „Uns ist es wichtig, gerade den Kadetten als Vorbereitung auf den Beruf auf See eine sachte Eingewöhnung zu ermöglichen. Abgesehen davon ist es natürlich praktisch, wenn der Weg zum nächsten Training möglichst kurz ist.“
Wie viele Kadetten auf den Philippinen hat Joshua May Biron zunächst eine Seefahrtsschule besucht, bevor er zu UMTC kam. Seine erste Reise brachte ihn nach Malaga, in Spanien. „Das war wirklich aufregend“, schwärmt er. „Ich war das erste Mal von Zuhause fort und habe gleich so viel gesehen. Das hat mich motiviert, es noch weit zu bringen in der Seefahrt.“ Das Training hat den 21-Jährigen bestärkt in seinen Fähigkeiten und ihm viel Sicherheit gegeben, bevor er das erste Mal auf einem Schiff war. Aktuell durchläuft er weitere Trainings mit der Hoffnung, auf seiner nächsten Fahrt als dritter Offizier an Bord zu gehen.
Alle philippinischen Mannschaftsmitglieder, die unter deutscher Flagge fahren, werden bei UMTC aus- und weitergebildet. Nicht nur als Kadetten, sondern auch während ihrer Laufbahn erhalten sie immer wieder Sicherheitstrainings und Auffrischungskurse. Die Trainings gelten für alle Crew-Mitglieder, Flaggenübergreifend. Meistens besuchen sie Trainingscenter in ihren jeweiligen Heimatländern. Die Fortbildungen, die Hapag-Lloyd seine Seemitarbeiter absolvieren lässt, gehen weit über die Pflichtkurse hinaus. Insbesondere im Elektronikbereich – denn wegen der zunehmenden Automatisierung wird hier qualifiziertes Personal immer wichtiger. UMTC bietet insgesamt mehr als 200 maßgeschneiderte Kurse an, unterrichtet von 56 Vollzeit-Lehrern. Die meisten von ihnen haben zuvor auf einem Schiff gearbeitet.
Einer von ihnen ist Kapitän Raymundo Elizario. 13 Jahre arbeitete er auf See. Heute unterrichtet er das Führen von Kränen auf Schiffen. Dass ausgebildete Crewmitglieder die Container mit einem Kran selbst vom Schiff heben müssen, ist vor allem in kleineren Häfen in Asien und Südamerika häufig der Fall. „Ich habe selbst während meiner Laufbahn einen solchen Kurs absolviert. Diese Zusatzqualifikation hat mir sehr geholfen, die Karriereleiter weiter nach oben zu klettern“, so Elizario. „Lehrer zu sein ist für mich eine Passion. Es macht mir sehr viel Spaß, mein Wissen weiterzugeben.“
Seit acht Jahren unterrichtet er bereits bei UMTC. „Neben Fortbildungen, um unser Fachwissen auf dem neuesten Stand zu halten, werden wir auch darin unterstützt, gute Lehrer zu sein. Das fordert mich immer wieder neu heraus.“ Die Kurse bietet der gebürtig aus Negros Occidental Stammende, einer Insel im Süden der Philippinen, für unterschiedliche Level an, vom Kadetten über das höhere Management bis hin zu Kapitänen. Beim Schwergewicht-Kran-Simulationskurs gibt es vier Teilnehmer: Einen der als Kapitän fungiert, der für die Ballast-Operationen zuständig ist, einen der als zuständiger Offizier fungiert und sich um die Cargo Operationen kümmert sowie zwei Kranführer. Also genau die Konstellation, die auch an Bord benötigt wird.
Die Trainer zu besseren Lehrern zu machen, dafür setzt sich Ester Dinawanao ein. Bevor sie zu UMTC kam, unterrichtete sie für viele Jahre Mathematik an unterschiedlichen Schulen – außer an Schifffahrtsschulen. Dinawanao war also komplett fachfremd, als sie hier startete. Mit der Zeit arbeitete sie sich jedoch in die Materie ein. „Die ganzen Experten sind ja direkt vor Ort“, sagt sie und schmunzelt. „Immer, wenn ich etwas nicht verstehe, frage ich mich durch.“
Und so arbeitete Dinawanao nach und nach das gesamte Mathematik-Curriculum um. „Auch beim Matheunterricht ist es unser Anspruch, dass er möglichst lebensnahe ist. Wenn ich also die Hebelfunktion erkläre, ist es viel zu abstrakt, einfach eine Formel an die Tafel zu schreiben. Stattdessen gebe ich hier etwa das Beispiel, einen Container per Kran zu heben.“ Denn auch dafür müssen Kraft, Last und Drehpunkt zuvor berechnet werden, um zu gewährleisten, dass die Ladung sicher transportiert werden kann. Und so bietet Dinawanao gleich die Grundlage für Elizarios Kran-Simulationskurs. „Seit wir das Curriculum umgestellt haben, erzielen unsere Schüler viel bessere Ergebnisse – weil sie die Materie ganz anders verstehen und ihren praktischen Nutzen direkt erkennen können.“
Eine der Seemannschulen, mit denen UMTC eng zusammenarbeitet, ist das Lyceum International Maritime Academy (LIMA). Drei Jahre dauert hier in der Regel die Ausbildung der angehenden Seemänner und -frauen, ein Jahr davon verbringen sie an Bord eines Schiffes. Auch hier lautet die Devise je praktischer, desto besser. Allein für die Brücke gibt es mehr als 35 Simulatoren, an denen die Schüler in Klassenräumen verschiedene Szenarien auf See üben. Also wie sie in welcher Situation das Schiff am besten navigieren – oder eben überhaupt das Schiff entlang der vorgegebenen Route navigieren. Dabei bereitet LIMA seine Schüler nicht nur auf aktuelle Abläufe auf einem Schiff vor, sondern auch auf zukünftige – etwa den Umgang mit Flüssigerdgas (LNG). Denn mit Blick auf die IMO-Richtlinie für 2030, die vorsieht, die CO2-Emissionen um 30 Prozent zu verringern, könnte LNG eine wichtige Rolle spielen.
„Für unser Curriculum stimmen wir uns stets eng mit unseren Partnern ab – wie etwa mit UMTC. So stellen wir sicher, dass unsere Ausbildung immer auf dem aktuellsten Stand ist und unsere Absolventen genau die Fähigkeiten haben, die sie auf See brauchen werden“, erklärt Alexander Gonzales. Er fuhr 16 Jahre zur See auf Tanker-, Bunker- und Containerschiffen – zuletzt als Kapitän.
Geht man durch die Schule, könnte man fast meinen, in einem IT-Unternehmen zu sein – fast jeder Klassenraum besteht aus Einzeltischen mit gleich mehreren Monitoren für unterschiedliche Simulationen. Auch der Maschinenraum ist auf Touchscreens abgebildet, was es ermöglicht in die verschiedenen Abschnitte hineinzuzoomen. So können die Lehrer ganz leicht immer wieder neue Szenarien abbilden, die die Schüler dann lösen müssen.
„Wir haben hohe Ansprüche an die Qualität unserer Ausbildungen“, so Gonzales. „Das ist wichtig, denn ein Schiff kann ein gefährlicher Arbeitsplatz sein. Doch wenn jeder seine Aufgaben beherrscht, zahlt das positiv auf die Sicherheit an Bord ein.“
Klares Ziel vor Augen
Sie waren zwar noch nie auf einem Schiff, doch eines ist ihnen klar: Sie wollen Kapitän werden – beziehungsweise Kapitänin. Die Kadetten Cylka Soriano, Jack Allen Carandang und Jubilee John Dela Cruz studieren aktuell am Lyceum International Maritime Academy (LIMA) in Batangas, südwestlich von Manila. Sie alle wollten einen Job machen, der ihnen viel Abwechslung bietet. „Einen Bürojob konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Mein Bruder ist zudem bei der US Navi, das hat mich inspiriert“, sagt Dela Cruz. Carandangs Vater war Proviantmeister auf unterschiedlichen Schiffen, er wollte seinem Beispiel folgen. Nur Soriano hatte zuvor keine Berührungspunkte mit der Seefahrt: „Ich habe nach interessanten Studiengängen recherchiert und bin dann auf den Bachelor of Science in Marine Transportation (BSMT) hier an der Seemannsschule gestoßen. Das klang für mich nach der passenden Herausforderung.“