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Von der Liebe zur Seefahrt und zum Jazz

Kapitän André Czarnotta mag die Weite des Ozeans, Jazz in fast allen Variationen und die Teamarbeit an Bord der „Santos Express“. Hier erzählt er, warum flache Hierarchien und Vertrauen der Schlüssel zum Erfolg sind und gibt Tipps, wie auch Unkundige einen Zugang zum Jazz finden

Das Gespräch mit Kapitän André Czarnotta fand vor der sich zuspitzenden Coronavirus-Krise am Hamburger Burchardkai statt. Während an Land die ersten Ausgangseinschränkungen verhängt werden, sind Kapitän und Crew längst auf dem Atlantik Richtung Cartagena unterwegs und bekommen wenig von den Auswirkungen der weltweiten Pandemie mit, alle Crewmitglieder erfreuen sich bester Gesundheit. Was das Coronavirus für die weitere Fahrt der „Santos Express“ bedeutet, ist noch nicht abzusehen. André Czarnotta steht – wie alle Kapitäne von Hapag-Lloyd – mit der Reederei in engem Austausch.

Am Ende des Interviews setzt sich Kapitän André Czarnotta spontan ans Klavier und improvisiert „Maiden Voyage“, eine der berühmtesten Kompositionen des Jazzpianisten Herbie Hancock. „Ich hatte Nachtschicht, muss mich erst ein bisschen einspielen“, entschuldigt er sich. Aber was da erklingt in der Offiziersmesse der „Santos Express“ am Hamburger Burchardkai, ist so eindringlich und schön, dass alle Umstehenden innehalten und lauschen. Maiden Voyage, zu Deutsch Jungfernfahrt, passt: Das Klavier hat der Kapitän vor der Übernahme der nagelneuen „Santos Express“ 2017 extra an Bord gebracht. Bis heute ist Czarnotta stolz darauf, dass er das Containerschiff vor drei Jahren in Südkorea abholen durfte. Er brachte es nach Santos, in den größten Hafen Brasiliens zur Taufe: „Ein unglaubliches Gefühl, eine Ehre!“, schwärmt der 47-Jährige.

Die Begeisterung für die Schifffahrt liegt zwar nicht in der Familie, wohl aber an dem Fluss, an dem André Czarnotta aufwuchs: Schon als Kind stromerte der Hamburger an der Elbe entlang, träumte sich hinaus in die weite Welt. „Ich bin am Wasser groß geworden, segelte als Jugendlicher mit den Wanderkuttern unseres Segelvereins Altona/Övelgönne über die Elbe. Eines Tages mit dem Containerschiff von Hamburg in die Welt zu fahren, das war mein Traum“, so André Czarnotta. Und diesen Traum hat er sich mit Fleiß, Disziplin und Leidenschaft selbst erfüllt.

19-jährig bewarb sich Czarnotta für die Ausbildung zum Schiffsmechaniker bei Hapag-Lloyd und durchlief alle Stufen, Studium inklusive, besitzt sowohl das technische als auch das nautisches Patent. Als junger Mann fuhr er u.a. auf der alten „Leverkusen Express“, drei Jahre auf Pazifik-Atlantik-Express-Diensten und mehrere Jahre auf der „Tsing Tao Express“. „Asien, Mittelmeer, USA, da war alles dabei“, fasst er seine mittlerweile 26-jährige Zeit an Bord zusammen. 14 Jahre davon fährt André Czarnotta als Kapitän.

„Der Wechsel vom 1. Offizier zum Kapitän, ist der wohl größte Schritt“, erzählt André Czarnotta mit ruhiger Stimme über die Herausforderungen als Führungskraft: „Das Stresslevel ist deutlich höher, weil du jederzeit wissen musst, was zu tun ist. Aber ich hatte sowohl an der Maschine als auch an Deck sehr gute Lehrer. Das hat mir Kraft gegeben, an mich zu glauben.“ Zum Ausgleich praktiziert Czarnotta regelmäßig Yoga. Führung versteht der Kapitän vor allem als Gemeinschaftsleistung. Nicht jeder müsse alles können, entscheidend sei das richtige Zusammenspiel: „Natürlich gibt es an Bord eine Hierarchie, aber ich versuche meine Mannschaft so wenig zu reglementieren wie möglich. Menschen arbeiten am besten, wenn man ihnen Freiräume ermöglicht.“ Vertrauen und Ehrlichkeit hält der besonnene Kapitän für unerlässlich. „Ein positive Stimmung, ein gutes Gruppengefühl – wenn es drauf ankommt, braucht man genau das!“, findet André Czarnotta. So organisiert er mit der Crew gemeinsame Landgänge und Feiern. „Klar müssen in den Häfen der Westküste auch unzählige Kühlcontainer geladen werden. Aber ein Ausflug in Lima, zum Beispiel ins Goldmuseum, ist unvergesslich. Sobald wir dann weg von der Küste sind, gibt’s eine Grillfeier für alle und wir probieren den hervorragenden chilenischen Wein. So haben auch die Seeleute was davon, die nicht mit an Land kommen konnten.“ Dass die Crew abends nach dem Essen gern zusammensitzt, über Gott und die Welt redet oder ein Kicker-Turnier austrägt, ist für den Kapitän keine Selbstverständlichkeit: „Ich bin dankbar, dass wir uns alle so gut verstehen.“

Und wie verträgt sich der Beruf mit dem Familienleben? Seine Söhne Piet und Leo sind schließlich erst sechs und neun Jahre alt. „Meine Frau ist einfach super erfinderisch, wenn es darum geht, mich als Familienvater einzubinden. Als mein erster Sohn noch ganz klein war, hat sie in meiner Abwesenheit ein Foto von mir übers Bett gehängt und jeden Abend davor gute Nacht gesagt. Als ich nach Monaten nach Hause kam, erkannte mich mein eineinhalbjähriger Sohn sofort, zeigte mit dem Finger auf mich und rief ,Papa‘. Da ging mir das Herz auf.“ Und noch etwas lieben die Jungs, wenn Papa nachhause kommt: „Ich hab immer jede Menge Geschenke dabei!“, lacht der Kapitän.

Ein Vorteil der Schifffahrt ist auch, dass der musikbegeisterte Kapitän Original-Instrumente vor Ort kaufen kann. So stehen drei Candombé-Congas aus Uruguay an der Wand in der Offiziersmesse, auf denen der Kapitän Rhythmen von Salsa bis Samba spielt. Passend zur Lateinamerika-Route der “Santos Express”: „Auf dieser Route erlebst Du alles, was die Seefahrt so schön macht: erst die europäischen Häfen Hamburg, Rotterdam, Antwerpen, dann die Weite des Atlantiks. Und nachdem Du den Panamakanal passiert hast, empfangen Dich der Pazifik und die Westküste Lateinamerikas. Hier kann man auch noch kleinere Häfen und das ursprüngliche Land hautnah erleben. Diese Route ist die wohl schönste, die ich je gefahren bin.“

Wann immer möglich, nutzt André Czarnotta die knappe Freizeit an Bord und setzt sich ans Klavier. Dann klappt er das Realbook, die Noten-Bibel aller Jazzer, auf und taucht ein in die Welt der Improvisation. „Es ist ein bisschen wie bei der Seefahrt, sobald du die Grundregeln beherrscht, kannst du dich frei bewegen. Und das ist Jazz für mich: unglaubliche Freiheit.“ Hat er einen Tipp, wie Menschen Zugang zur Jazzmusik finden, die normalerweise wenig damit anfangen können? „John Coltrane kann ich nur jedem empfehlen! Wie er den Song ,My Favorite Things‘ mit seinem Quartett interpretiert, das ist fantastisch.“ Seine „Favorite Things“ hat Kapitän André Czarnotta längst gefunden.

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