Im April hat Hapag-Lloyd seinen dritten Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht. Unsere Sustainability-Experten Jörg Erdmann und Yves Kaminski im Interview
Gerade hat Hapag-Lloyd seinen Nachhaltigkeitsbericht 2019 veröffentlicht. Wo steht das Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit?
Jörg Erdmann: Hapag-Lloyd ist auf einem guten Weg. Wir haben in allen Nachhaltigkeitsdimensionen, also unter ökologischen, ökonomischen, sozialen und qualitativen Gesichtspunkten, Fortschritte machen können. Bei unseren Nachhaltigkeitsaktivitäten messen wir uns einerseits an den Zielen, die wir uns aus eigener Überzeugung setzen. Und an Vorgaben, die andere wie beispielsweise die Politik, für uns aufstellen. Bei klimaschonenden Maßnahmen lautet unsere übergeordnete Maxime: möglichst wenig Energieeinsatz für möglichst viel Transportleistung. Das heißt wir schauen als Containerreederei mit über 230 Schiffen deshalb vor allem auf unsere Flotte. Hier können wir in Sachen Emissionsreduktion am meisten bewegen.
Was sind die größten Nachhaltigkeitserfolge?
Yves Kaminski: Das vergangene Jahr war geprägt durch die Vorbereitungen auf die IMO 2020-Regularien für eine bessere, schwefelarme Luftqualität. Dank dem Einsatz vieler Kolleginnen und Kollegen haben wir es pünktlich geschafft, unsere Schiffe auf die neuen Treibstoffvorgaben der Internationalen Schifffahrtsorganisation umzustellen. Dadurch sparen wir über 70 Prozent Schwefeloxid-Emissionen. Einen zweiten wesentlichen Hebel können wir beim CO2-Ausstoß ansetzen. Unsere spezifischen CO2-Emissionen, also die Emissionen pro TEU-Kilometer, konnten wir um 50 Prozent im Vergleich zum Referenzjahr 2008 reduzieren.
Wie hat es Hapag-Lloyd geschafft Emissionen zu senken?
Jörg Erdmann: Wir haben zum einen Maßnahmen zur Effizienzsteigerung unserer Flotte durchgeführt. Viele Einsparungen haben wir durch technische Verbesserungen an den Schiffen und Containern erreicht. Unsere Kühlcontainer sind deutlich energieeffizienter als früher. Den Kühlbedarf eines 40-Fuß-Containers haben wir halbiert. Durch Effizienzsteigerung alleine kommen wir aber nicht zum Ziel. Großes Potenzial zur CO2-Reduzierung sehen wir bei alternativen Treibstoffen. Als erste Reederei weltweit rüsten wir ein Großcontainerschiff, die „Sajir“, auf klimafreundlicheren Flüssiggasantrieb (LNG) um. Außerdem testen wir derzeit einen Biokraftstoff, dem gebrauchtes Speiseöl aus der Gastronomie beigemischt ist. Mit diesem Biokraftstoff kann der CO2-Ausstoß pro Tonne Treibstoff von derzeit rund 3 Tonnen auf voraussichtlich 2,5 Tonnen gesenkt werden.
Apropos Verbrauch. Auch beim spezifischen Bunkerverbrauch unserer Flotte konnten wir Einsparungen erzielen: pro Slot von 2,75 Tonnen im Jahr 2018 auf 2,59 Tonnen im Jahr 2019. Das senkt nicht nur die Emissionen, sondern auch unsere Kosten.
Beim Thema Nachhaltigkeit setzen viele Unternehmen auf die Digitalisierung. Wie sieht das bei Hapag-Lloyd aus?
Yves Kaminski: Auch für uns bietet die Digitalisierung erhebliches Potenzial, Emissionen einzusparen. Die Kolleginnen und Kollegen im Fleet Support Center analysieren zum Beispiel Wetter- und Strömungsdaten aus aller Welt. Durch dieses Wetter-Routing finden unsere Schiffe immer die beste Route. In 2019 konnten wir außerdem an 33 Schiffen den Wasserwiderstand senken, weil wir konsequent den Schiffsbewuchs gemessen und beseitigt haben. Das brachte uns zirka 9 Prozent Treibstoffeinsparung – mein persönliches Lieblingsergebnis. Digitale Tools werden zudem bei der Container-Stauplanung oder der Trimmoptimierung angewendet. Die Möglichkeiten der Digitalisierung wollen wir künftig noch stärker nutzen.
Nachhaltigkeit umfasst bei Hapag-Lloyd nicht nur die drei „klassischen“ Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales, sondern auch den Aspekt der Qualität. Könnt Ihr das erläutern?
Jörg Erdmann: Für uns sind alle vier Themen dicht miteinander verwoben. Die Gesellschaft, in der wir leben, unsere Umwelt, unsere Kolleginnen und Kollegen, Kunden, Geschäftspartner und Shareholder haben unterschiedliche Vorstellungen von Nachhaltigkeit und stellen dementsprechend unterschiedliche Erwartungen an uns. Nachhaltigkeit bedeutet daher, alle Aspekte miteinander in Einklang zu bringen. Qualität heißt in diesem Zusammenhang für uns, dass wir ein ISO-zertifiziertes Qualitäts- und Umweltmanagement haben. Dies umfasst Nachhaltigkeitsaspekte wie Arbeitssicherheit, Mitarbeitertraining, Kundenfokus und die Evaluation von Dienstleistern sowie den effizienten Umgang mit Ressourcen und die Reduzierung negativer Umwelteinflüsse. Qualität bedeutet für uns außerdem, unsere Nachhaltigkeitsaktivitäten zu messen und die Ergebnisse transparent und nachvollziehbar zu machen. Ein Beispiel ist unser EcoCalc-Tool, mit dem unsere Kunden einen Einblick in die unterschiedlichen Emissionen ihrer Transportkette erhalten.
Der Nachhaltigkeitsbericht erscheint unter dem Motto „Auf Kurs“. Was bedeutet das?
Jörg Erdmann: „Auf Kurs“ heißt nicht Stillstand, sondern dass wir in Sachen Nachhaltigkeit unseren Weg gefunden haben. Während wir für 2017 im ersten Bericht „Leinen los“ eine gute Grundlage geschaffen haben und im zweiten Bericht „Gemeinsam Fahrt aufnehmen“ konnten, haben wir nun den Kurs abgesteckt, auf dem wir weiterfahren wollen. Wir haben unsere Nachhaltigkeitsziele und die unternehmerischen Ziele fest im Blick und werden weiterhin, auch in diesen turbulenten Zeiten, daran arbeiten, die Containerschifffahrt und Hapag-Lloyd nachhaltiger zu machen.
Wie wird das Thema Nachhaltigkeit von den Kolleginnen und Kollegen gelebt? Könnt Ihr da ein Beispiel nennen?
Yves Kaminski: Das ist in der Tat ein wichtiger Punkt. Nachhaltigkeit ist ein umfassendes Konzept und kennt keine Grenzen, weder geographisch noch inhaltlich. Wirklich jeder kann etwas dafür tun, nachhaltig zu handeln. Unsere Kolleginnen und Kollegen engagieren sich daher in ganz unterschiedlichen Bereichen und haben bereits viele großartige Projekte umgesetzt. In Manila ist zum Beispiel der Elektroningenieur Demosthenes C. Quinones mit seinem Team sehr aktiv bei den Themen „Reparieren statt Ersetzen“ und nachhaltiges Arbeiten an Bord. Unsere Kolleginnen und Kollegen aus der Region Mittlerer Osten haben beim Getränkekonsum auf Mehrweg und Glasflaschen umgestellt – und 2019 fast 60 Prozent weniger Einweg-Pappbecher und 92 Prozent weniger Plastikflaschen im Vergleich zum Vorjahr verbraucht. Und in Indien haben Kolleginnen und Kollegen 186 Bäume gepflanzt, um Treibhausgase zu verringern. Für dieses Jahr planen sie weitere 800 Bäume zu pflanzen. Nachhaltigkeit findet bei Hapag-Lloyd also überall auf der Welt statt, im Kleinen und im Großen.
Im aktuellen Bericht kommen auch externe Stakeholder zu Wort – welche Rolle spielt der Dialog?
Yves Kaminski: Der enge Austausch mit unseren Kunden, mit anderen Geschäftspartnern, mit Vertretern von Verbänden sowie aus Wissenschaft, Politik und Behörden ist für unsere Arbeit wesentlich. Der Stakeholder-Dialog hat für uns viele Facetten. Unsere Kunden haben beispielsweise konkrete Vorstellungen, was wir beim Thema Nachhaltigkeit leisten müssen.
Jörg Erdmann: Ja, der Dialog mit unseren Stakeholdern ist ein ganz wichtiger Teil unserer Arbeit. Denn unsere Nachhaltigkeitsmaßnahmen beziehen das Wohl künftiger Generationen mit ein. Umso wichtiger ist es daher, alle Beteiligten auf diesem Weg mitzunehmen. Nachhaltigkeit ist eine Gemeinschaftsaufgabe und kann nur gemeinsam mit starken Partnern gelingen.
Das Jahr 2019 ist geschafft - Wie geht es beim Thema Nachhaltigkeit in diesem Jahr weiter?
Yves Kaminski: Nachhaltigkeit ist für uns ein fortlaufender Prozess und eine Denkweise, die wir mit regelmäßigen Aktionen und Kommunikation bei unseren rund 13.000 Mitarbeitern immer weiter verinnerlichen möchten. In den nächsten Monaten stehen die Qualitäts- und Umweltmanagement Audits an. Hier müssen wir aufgrund von COVID-19 etwas umplanen, da und werden sicherlich viele Termine über Videokonferenzen stattfinden lassen.
Zudem werden wir weiter intensiv daran arbeiten, ein Biokraftstoff-Produkt für Hapag-Lloyd zu entwickeln. Und wir müssen weitere Schritte angehen auf dem Weg zur Dekarbonisierung der Seeschifffahrt. Hier hat die IMO ambitionierte Meilensteine für die Jahre 2030 und 2050 gesetzt, nämlich die CO2-Emissionen zu den jeweiligen Daten um 40 Prozent beziehungsweise 50 Prozent im Vergleich zu 2008 zu reduzieren. Und für September ist bereits der Kick-Off für den 4. Nachhaltigkeitsbericht geplant.
Mittelfristig haben sich viele Pläne geändert, seit COVID-19 die Weltwirtschaft auf den Kopf stellt. Ändert die Corona-Pandemie auch unsere Einstellung zur Nachhaltigkeit?
Jörg Erdmann: Ja, ich glaube, es ändert sich etwas im Bewusstsein der Menschen. Zum Beispiel, wenn es um Billigreisen und Kurztrips mit dem Flugzeug geht. Auch geschäftlich habe ich für mich festgestellt, dass ich nicht mehr so viel fliegen muss. Wir haben hervorragende digitale Tools. Telefon oder Video-Calls reichen häufig auch.
Die aktuelle Krise darf aber nicht dazu führen, dass wir das Thema Nachhaltigkeit insgesamt vernachlässigen. Denn auch wenn die Weltklimakonferenz COP 26, die eigentlich im November in Glasgow stattfinden sollte, auf 2021 verschoben wurde – das Thema Klima- und Umweltschutz bleibt dringend.
Yves Kaminski: Man hört sehr oft, was alles nicht geht beim Klimaschutz. Natürlich ist die jetzige Situation kein Zustand, den man sich wünscht. Sie zeigt jedoch, dass wir als Gesellschaft handlungsfähig sind, wenn es darauf ankommt. Ich finde das ermutigend und hoffe, dass wir mit ähnlichem Tatendrang Maßnahmen für den Umwelt- und Klimaschutz vorantreiben können.
Nachhaltig sein heißt, die Zukunft zu sichern. Das funktioniert nur generationsübergreifend. Erinnert Ihr Euch noch, wann ihr euch das erste Mal mit Nachhaltigkeit beschäftigt habt?
Yves Kaminski: Mülltrennung und Umweltschutz waren bereits in der Kindheit ein Thema, aber wissenschaftliche Berührung hatte ich erstmals während meines Studiums. Da habe ich mich beispielsweise mit nachhaltiger Stadtplanung beschäftigt.
Jörg Erdmann: Aus meiner Kindheit kenne ich noch den eigenen Gemüse- und Obstgarten mit Äpfeln, die sehr lange in der Speisekammer lagerten und auch dann nicht weggeworfen wurden, wenn sie nicht mehr schön aussahen. Intensiv in die Thematik eingearbeitet habe ich mich tatsächlich erst vor zweieinhalb Jahren, als ich das Nachhaltigkeitsmanagement übernommen habe.
Der Nachhaltigkeitsbericht ist hier abrufbar.