Eigentlich sollte Udo Domke die Apotheke seiner Mutter übernehmen. Aber mit dem Umzug nach Hamburg und der Nähe zum Hafen kam es anders. Ein Gespräch über 42 Jahre Seefahrt mit Wettern aller Art, spannenden Forschungsreisen und wie er dem Erdbeben 2011 in Tokio entging.
„Pharmazie studieren und irgendwann Pillen drehen – das interessierte mich einfach nicht!“, erzählt Kapitän Udo Domke bei einem Spaziergang durch das Leercontainerdepot CMR in Hamburg Wilhelmsburg. Er erinnert sich noch gut an seine Kindheit in Helmstedt, die Apotheke seiner Mutter, in der er als kleiner Junge im Hinterzimmer spielte. Seine Eltern hatten sich gewünscht, dass ihr ältester Sohn die Apotheke übernimmt. Dann zog die Familie für einen neuen Job des Vaters nach Hamburg. „Und als ich hier mit 17 zufällig einen 1. Offizier kennenlernte, dachte ich: Ein vielseitiger Beruf, bei dem man nicht andauernd am Schreibtisch sitzen muss – das könnte es sein.“
Nach seiner Internatszeit in Bad Sachsa und Plön, in der er bereits „erste Erfahrungen in Sachen Großfamilie“ sammelte, bewarb sich der Abiturient bei Hapag-Lloyd, machte eine Ausbildung zum Nautischen Offizier und erlebte das erste schwere Wetter auf der MS Friesenstein 1979: „Nachts um drei erwischten wir mitten auf dem Atlantik die Ausläufer des Hurrikans „Floyd“. Der Stülcken-80t Schwergutbaum des Frachters hatte sich losgerissen und wir versuchten von allen Seiten, Leinen über den Haken zu werfen, um das Ding wieder einzufangen.“ So ein Haken bewege sich in Sturm und Dünung wie ein wildgewordener Stier, berichtet Udo Domke: „Wenn der einmal richtig durchgeschwungen wäre, er hätte die ganze Brücke zerstört.“ Mit vereinten Kräften bändigte die Mannschaft den ,Stier‘ schließlich: „Egal welcher Dienstgrad, alle haben mitgeholfen, sonst hätten wir das nicht gepackt.“
Unterwegs auf allem, was schwimmt
Nach dem Studium zum Wirtschaftsingenieur für Seeverkehr hatte Hapag-Lloyd zwar keine passende Stelle für den 29-Jährigen. „Aber ich konnte bei der Reederei F. Laeisz anfangen und Ferdinand Laeisz hatte 1847 die HAPAG immerhin mit gegründet“, so Udo Domke: „Fruchtschifffahrt, Bulkschifffahrt, Containerschifffahrt – ich bin dann alles gefahren, was schwimmt“, erzählt er gut gelaunt. Heute noch kann er fachmännisch über Reifeprozesse und Transport von Bananen, Kiwi und Co. referieren, weiß über Kühlgrade und die richtige Lagerung Bescheid: „Mit einem einzigen Apfel kannst du eine ganze Bananenladung ruinieren.“
Schwere See vor der Dominikanischen Republik und ein spannender Ausflug in die Polarforschung
1995 erhielt er das Kapitänspatent und konnte seine Erfahrung schnell unter Beweis stellen. Sein Kühlschiff lag in der Bucht von Manzanillo, der Nordküste der Dominikanische Republik nahe des Rio de Massacre, als eine Kaltfront aufzog. „Wir hatten an der Bananenpier festgemacht, sieben Meter Ladetiefe, damit die Pflanzer gut anliefern können. 25 Knoten waren vorausgesagt, aber dann kam die Front mit 55 Knoten direkt auf uns zu. Sämtliche Leinen brachen und ich musste aufpassen, dass ich nicht mit dem Marineschiff direkt vor uns kollidierte. Der Sturm drückte unser Heck von der Pier. Ich versuchte noch mit dem Hieven des Ankers den Steven von der Pier abzubringen, aber das Schiff schlug quer und kam auf Grund an der steil aufsteigenden vulkanischen Küste. Der Leitende Ingenieur sagte dann nur: ,Fahr los!‘ und ich fuhr. Haarscharf steuerten wir mit schleifendem Anker an der Fingerpier vorbei raus in die Bucht. Dort haben wir dann abgewettert, bis alles vorbei war.“
Im November 2001 brach Udo Domke zu neuen Ufern auf und wurde auf den deutschen Forschungseisbrecher Polarstern geschickt. „Einen Eisbrecher mit vier Maschinen und 20.000 PS zu steuern, unterwegs mit zig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu sein, das ist schon besonders“, schwärmt der Kapitän. „Das Direktorium des Alfred Wegener Institut hatte mich damals zu einem sehr ausführlichen Vorstellungsgespräch geladen.“
Trotz seiner Erfahrung fing er hier quasi noch mal von vorn an: „Eisbrecher und Eis verhalten sich komplett anders als Frachter und Meer: Die kinetische Energie schiebt den Brecher auf die Scholle, durch das Eigengewicht des Schiffes bricht das Eis an der dünnsten Stelle und dort fährst du dann weiter. Dafür gibt’s keine Ausbildung, das lernt man erst an Bord.“ Umweltschutz und Klimawandel interessieren ihn seither besonders. „Einmal vor der irischen Küste haben unsere Forscher gefilmt, was am Meeresboden übrigbleibt, wenn große Trawler mit ihren Schleppnetzen drüberfahren: absolut nichts!“ Udo Domke ist froh, dass genau diese Ecke vor der irischen Küste, am Stachelschwein Rücken (engl. Porcupine Bank) heute unter Schutz steht: „Jetzt wird da nur noch mit Leine und Haken geangelt.“
Zurück zu den Wurzeln und was Udo Domke an Hapag-Lloyd schätzt
Knapp 30 Jahre nach seiner Ausbildung und mit jeder Menge Expertise im Gepäck, kehrte der damals 50-Jährige Kapitän zu seinem ehemaligen Ausbilder zurück: „Das war wie nach Hause kommen!“ Der Enthusiasmus jedes einzelnen Mitarbeiters, die Leute, das Arbeitsklima: „Man spürt einfach, dass hier auch in der Führungsetage echte Seefahrer unterwegs sind.“ Es folgten fünf Jahre auf der Frankfurt Express. Immer wieder fuhr er seine Lieblingsroute über den Pazifik: „Da hat man manchmal rund zehn Tage auf See, keine Häfen, stattdessen alle Schattierungen des Meeres. Das beeindruckt mich noch immer. Weil einem bewusst wird, wie unbedeutend der einzelne Mensch angesichts dieser überwältigenden Natur ist.“
Was er an Hapag-Lloyd besonders schätzt, ist der Umgang mit dem Personal. Nie werde er vergessen, wie sich Flottenchef Richard von Berlepsch kümmerte, als Domke mit der Dresden Express das Tōhoku-Erdbeben 2011 erlebte: „Wir liefen gerade mit dem Lotsen in den Hafen von Tokio ein, als es los ging. Es kam kein Alarm, nichts, einfach nur eine merkwürdige Schwingung im Schiff. Der Lotse an Bord telefonierte, einzig das Wort: ,Erdbeben‘ kam aus seinem Mund. Die Containerbrücken vor uns an der Pier gerieten derart in Schwingungen, dass ein plötzliches Kollabieren nahelag.“ Kapitän und Mannschaft legten im Eiltempo ab und gingen weit vor Tokio vor Anker. „Mittlerweile hatten wir auch erfahren, dass Fukushima betroffen war. Die radioaktive Wolke zog anfangs nach Nord-Ost raus aufs Meer bevor sie am 14. März in unsere Richtung unterwegs war. Wir hatten zwar ein Messgerät an Bord und die Werte waren noch unbedenklich. Aber würde das auch so bleiben? Richard von Berlepsch stand seit dem Erdbeben mit dem Bundesamt für Strahlenschutz in Verbindung. Exakt am 14. März kam der Anruf: ,Ihr lauft aus und geht nicht an die Pier!‘ Nach dem Hauptbeben gab es ständig weitere Nachbeben, ginge das Schiff an die Pier könnte ein umstürzender Kran das Schiff unter sich festsetzen.“ Das sei typisch Hapag-Lloyd: „Die Sicherheit der Menschen an Bord geht immer vor.“ Wohlbehalten brachte der Kapitän daraufhin Mannschaft und Schiff zurück nach Hamburg.
In Hamburg endet nach 42 Jahren auch die berufliche Reise für Udo Domke: „Mit 63 ist es auch mal gut, ich habe ja alles erlebt“, resümiert er. Er freut sich jetzt aufs Golfen, das er letztes Jahr mit seiner Frau angefangen hat, auf seinen Garten, der ein bisschen Pflege gut gebrauchen kann und auf den einen oder anderen Segeltörn mit ehemaligen Kollegen und Freunden. „Und wer weiß, vielleicht fliegen wir ja noch mal auf die Azoren, wenn die Pandemie nachgelassen hat. Massentourismus gab es da noch nie und die Natur ist schlicht überwältigend!“ Keine Ambitionen, bei Hapag-Lloyd noch mal mitzumischen? Udo Domke schüttelt den Kopf: „Ich kann gut loslassen. Aber wenn jemand noch ein bisschen von meinen Erfahrungen hören will, soll er sich gern melden! Manchmal juckt es eben doch noch“, lacht der frisch gebackene Rentner.
Lesetipp: Weit weniger gut als Kapitän Domke ergeht es den Seeleuten in dem Buch, dass er auf seiner letzten Reise gelesen hat: ,Barrow’s Boys‘ von Fergus Fleming. Ein Buch über Expeditionen ehemaliger britischer Marineoffiziere und ihrer Mannschaften im 19. Jahrhundert. Udo Domke: „Alle Expeditionen scheiterten und waren so ziemlich das Gegenteil von dem, was die britische Krone als Entdeckernation zu feiern vorgab. Alles wahr und absolut packend erzählt!“