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Andrew Longnecker – durch die Ankerklüse an die Spitze

Seit zwölf Jahren fährt Andrew Longnecker auf der Philadelphia Express, vier Jahre davon als Kapitän. Warum auch ein älteres Schiff seine Vorteile hat, wie er als junger Mann vor Alaska Lachs und Kabeljau angelte und warum er stolz ist, für Hapag-Lloyd zu arbeiten, erzählt er in diesem Artikel.


Hamburg Altenwerder, Terminal CTA – einer der ersten warmen Tage in diesem Jahr mit strahlend blauem Himmel. Ebenso strahlend steht Kapitän Andrew Longnecker am Kai vor seinem Schiff, der Philadelphia Express. Hapag-Lloyd-Chef Rolf Habben Jansen hat sich angekündigt. Er will der Crew mit ein paar Geschenken für die gute Arbeit danken, bevor es für sie wieder zurück nach Charleston geht. Und er hat eine gute Nachricht im Gepäck: In wenigen Monaten soll die Crew auf ein moderneres Schiff wechseln, vermutlich die Al Kahrj, die gleich nebenan festgemacht hat – Zukunft in greifbarer Nähe sozusagen.

Keine Frage, die Philadelphia Express hat bessere Tage gesehen. Das 3237 TEU Containerschiff hat 18 Jahre auf dem Buckel, hier und da erzählt ein bisschen Rost davon und ja, auch der Schriftzug könnte mal erneuert werden. Aktuell ist der Aufzug defekt, was nicht weiter schlimm ist, denn die Crew ist jung und fit und flitzt gern die Treppen rauf und runter. Andrew Longnecker lässt nichts auf sein Schiff kommen. „Ich kenne die Philadelphia Express in und auswendig, jede Ecke, jede Reparatur – es ist einfach ein tolles Gefühl, alles über ein Schiff zu wissen“, erzählt der 51jährige Amerikaner. Die Route geht von Hamburg über London, Charleston, Port Everglades nach Houston und dann zurück über Savannah, Norfolk, Antwerpen wieder nach Hamburg. „Der atlantische Ozean hat auf dieser Strecke einiges an Stürmen zu bieten“, berichtet der Kapitän. Zehn, zwölf Meter hohe Wellen seien nichts Außergewöhnliches. „Bei mitlaufender See ist das halb so wild, aber wenn Du den Sturm und 4000 Seemeilen vor Dir hast, brauchst Du viel Erfahrung. Auch die Hurrikan-Saison vor der Ostküste im Spätsommer ist nicht ohne. Gerade letztes Jahr kamen wir vor Charleston einem Hurrikan sehr nahe, ein zweiter kam dazu. Aber dann verzog sich der eine nach Norden, der andere Richtung Süden – wir haben einfach Glück gehabt!“


Aufwachsen an der Ostküste, Angeln vor Alaska

Die Liebe zur See liegt, wie bei so vielen Kapitänen, in der Familie. „Mein Vater fuhr zur See, meine zwei Schwestern und ich sind quasi an Bord vor der Ostküste aufgewachsen“, erzählt Andrew Longnecker. „Nach der High School bin ich dann nach Alaska gegangen, um in der Hochseefischerei zu arbeiten. Ich landete bei einer norwegischen Fischerfamilie. Deren Longliner waren aus Holz, wurden von Generation zu Generation vererbt. Wenn du damit in schwere Wetter kommst, biegen sich buchstäblich die Planken, du wirst nass bis auf die Knochen, kriegst kaum Schlaf. Das Fischen mit Langleinen ist schwere körperliche Arbeit – aber als junger Mann habe ich es geliebt!“, erzählt der Kapitän. Mit 26 kaufte er sich sein eigenes Schiff: „Die Virginia Creeper, ein gut 22-Meter-Longliner. Großaugen Thunfisch, der bis zu zweieinhalb Meter groß wird, Kabeljau, Schwertfisch – bis zu 15 verschiedene Arten haben wir bei Wind und Wetter aus dem Meer geholt“, erzählt Andrew Longnecker mit leuchtenden Augen. Damals lebte er auf Hawaii, wo er auch seine spätere Frau kennenlernte. Und wie kommt man von der Fischerei auf ein Containerschiff? „Einige meiner Freunde hatten schon die Seiten gewechselt, ihre Lizenz gemacht und fuhren als Dritte Offiziere auf Frachtern. So sehr ich die Fischerei mochte, mir wurde durch unsere Gespräche klar, dass die Containerschifffahrt mehr Zukunft hat, besonders, wenn Du eine Familie gründen willst.“


Rang für Rang an die Spitze, und dann dem Nachwuchs zeigen, wie es geht

„Ich habe mich vom einfachen Seemann bis zum Kapitän hochgearbeitet. Wir Amerikaner nennen das Hawsepiper“, erklärt der Kapitän. Das sei einer, der an der Ankerkette durch die Klüse aufs Schiff klettert. 2009 startete er bei Hapag-Lloyd als dritter Offizier erst auf der St. Louis Express, dann der Washington Express, bis er auf der Philadelphia Express landete. Hier wurde er Chief Mate und erhielt 2017 sein Kapitänspatent. Die ganze Familie sei unglaublich stolz auf seine Beförderung gewesen, so Longnecker. „Besonders mein Vater. Ich habe ihn mal ein Stück bis nach Norfolk mitgenommen, weil er noch nie auf einem so großen Schiff gefahren ist. Da sagt er zu mir, ,Du hast meine Leidenschaft geerbt und sie in deine Karriere verwandelt‘.“
So sehr Kapitän Longnecker das Abenteuer liebt, heute gilt seine Leidenschaft auch der Ausbildung junger Leute. „Den Jungen zu zeigen, wie der Job funktioniert, sie zu begleiten und zu beobachten, wie sie an ihren Aufgaben wachsen, das ist sehr erfüllend“, findet der hoch gewachsene Mann: „Ich habe hier beispielsweise einen Kollegen an Bord, den kenne ich noch aus der Zeit, als ich selbst Chief Mate war. 18 Monate hatte er in Afghanistan gedient, bevor er hier als Kadett anfing, mittlerweile ist er Zweiter Offizier. Ich bin stolz, ihn auf seinem Weg begleiten zu können!“


Langeweile? Unbekannt!

Aber mal ehrlich: Ist es nicht auch ein bisschen langweilig, immer auf demselben Schiff zu fahren? „Überhaupt nicht!“, protestiert Andrew Longnecker. „Es ist toll, eine Route häufig zu fahren. Denn einerseits hast du eine gewisse Kontinuität, andererseits immer wieder neue Leute an Bord. Jede Fahrt ist anders.“ Die Stürme seien das eine, und die Philadelphia Express sei auch schon mal in angedocktem Zustand gerammt worden, was ihr ein paar Werfttage einbrachte. „Aber es passieren eben auch Dinge wie vor ein paar Jahren, als wir im Golf von Mexiko ein Rettungsboot mit kubanischen Flüchtlingen entdeckten. Vier Männer und eine hochschwangere Frau in einem winzigen Boot. Wir haben sie sicher bis zur nächsten Küstenwache gelotst.“

Vielfalt in Bremerhaven, Zeit für Familie in Charleston und ein Lob vom Chef

Die Crew der Philadelphia Express kommt aus der ganzen Welt. „Honduras, Türkei, Indonesien, Ghana, um nur einige Ländern zu nennen. Und jeder hier an Bord hat seine eigene Geschichte. Gerade heute morgen unterhielt ich mich mit einem unserer indonesischen Offiziersanwärter. Er lebt in Wisconsin, erzählte mir aber sehnsüchtig von seiner Heimat Bali und der wunderbaren Natur. Bei der Seefahrt lernst du eben nicht nur andere Häfen und Länder kennen, auch an Bord ist das manchmal wie eine Weltreise!“
 


Kapitän Longnecker kann allen Häfen etwas abgewinnen, sogar Bremerhaven, den die Philadelphia Express bis vor zwei Jahren anlief, „Auch wenn mancher das belächeln mag – es ist schön, wenn man das Gefühl hat, nachhause zu kommen. Wir kennen die Stadt, wissen, wo man gut essen und einkaufen kann. Ich besitze sogar einen Bierkrug mit dem Schriftzug von Bremerhaven.“ Charleston, wo er mittlerweile mit seiner Frau Marta und den beiden Söhnen Nicolas und Jacob lebt, sei natürlich etwas schöner, räumt der Familienmensch Andrew Longnecker ein: „Wir haben wunderbare Strände und die Stadt atmet ganz viel Geschichte. Wenn ich zuhause bin, machen wir mit der Familie viele Ausflüge, gehen wandern in die Berge. Oder ich bastle mit den Jungs etwas in meiner Werkstatt. Zuletzt haben wir eine Hantelbank gebaut – das hat riesen Spaß gemacht.“ Wenn ihn die Sehnsucht nach dem Ozean packt, schaut Kapitän Longnecker sich gern den einen oder anderen der vielen Hapag-Lloyd-Filme auf YouTube an: „Das leistet die Marketingabteilung ganze Arbeit, jedes Mal, wenn ich die schaue, bin ich hinterher noch stolzer, für Hapag-Lloyd zu arbeiten. Meine Frau lacht dann immer und fragt: ,Na, willst Du schon wieder los?‘“

Das Interview ist gerade beendet, da steht Rolf Habben Jansen in der Tür, Kapitän Longnecker ruft die Crew auf die Brücke. Der Hapag-Lloyd-Chef lobt die Mannschaft mit einer kleinen Dankesrede, verteilt die Geschenke und verspricht offiziell das größere, modernere Schiff. Schnell noch ein Foto, dann muss er wieder los. „Damit geht für mich ein Traum in Erfüllung!“ freut sich Kapitän Andrew Longnecker und schaut zufrieden rüber zur Al Kharj.