41 Jahre fuhr Gebhard Knull zur See, als Schiffsjunge, Offizier und Kapitän. Über die Liebe zur Seefahrt, Zoff mit Vorgesetzten, Piraterie im chinesischen Meer und wie er zum Spitznamen „K-Zero“ kam.
„Schon auf meiner ersten Fahrt habe ich fast alles erlebt, was die Seefahrt so spannend macht“, erzählt Gebhard Knull und berichtet von der Flucht über die Ostsee auf einem kleinen Küstenmotorschiff (Kümo) im Januar 1945. „Mein Vater hatte in Königsberg - heute Kaliningrad – den Auftrag, Flüchtlinge mit Schiffen zu evakuieren. Er schickte auch meine Mutter und uns vier Brüder mit einem Kümo Richtung Westen. In der ersten Nacht stand ich mit meinem Bruder auf der Back. Als der Ausgucker rief ‚Fahrzeug vier Strich backbord‘, sahen wir schemenhaft ein Schiff direkt auf uns zukommen und verließen die Back. Aber das Deck war so vereist, dass wir ausrutschten und genau dahin schlitterten, wo uns das Schiff dann rammte. Wir lagen an Deck und konnten den Bug himmelhoch über uns sehen!“, erinnert sich der 87-Jährige.
Beeindruckt hat den jungen Gebhard Knull damals vor allem der Kapitän. „Er beruhigte uns, es sei nichts Schlimmes passiert, wir könnten alle unter Deck gehen. In Pillau (Baltijsk) wurde das Schiff repariert, in Gotenhafen (Gdynia) sollte unsere Mutter dann mit ihren vier Söhnen auf die ‚Wilhelm Gustloff‘ umsteigen. Aber sie weigerte sich, ließ sich nicht einschüchtern, und wir blieben an Bord des Kümos – so hat sie uns höchstwahrscheinlich das Leben gerettet.“ Denn die „Wilhelm Gustloff“ sank nach dem Beschuss durch ein sowjetisches U-Boot am 30. Januar 1945. An Bord über 10.000 Menschen, von denen nur 1.239 überlebten. Mutter Knull und ihre vier Söhne erreichten nach vierwöchiger Überfahrt auf dem Kümo Sassnitz. Alle vier Brüder wurden später Seefahrer.
Tipps des Vaters verschafften Respekt
Die ersten Berufstipps bekam Gebhard Knull von seinem Vater: „Erstens: Als Schiffsjunge musst du kochen und die Kombüse putzen! Merke dir: Wenn die Ecken und Winkel eines Raumes sauber sind, ist der ganze Raum sauber. Zweitens: Ein Wenn und Aber gibt es nicht an Bord. Drittens: ‚Geht nicht‘ gibt’s auch nicht, man findet immer einen Weg. Zuletzt: Halt deinen Namen im Gespräch!“ Besonders der letzte Rat habe sich bewährt, resümiert Gebhard Knull. Gibt’s ein Beispiel? Kapitän Knull lacht und erzählt: „Das war später beim Norddeutschen Lloyd. Ich war Zweiter Offizier auf der ‚Birkenstein‘ und für die Ladung zuständig. In Hamburg luden wir Bierfässer, in Antwerpen kamen 30 Kartons mit gepressten Schwämmen dazu. Als wir in New York die Ladung löschen wollten, quollen uns diese zu Tausenden entgegen. Die Fässer hatten sich gelöst und die Kartons beschädigt. Die Schwämme haben wir dann mit einem riesigen Tuch rausgehievt und schnell in den Schuppen gebracht. Nachmittags zitierte mich der Kapitän an Deck und machte mich zur Schnecke, weil er fünf Schwämme in der Luke entdeckte. Als er drohte, dass er mir das auch ins Zeugnis schreiben würde, platzte mir der Kragen, und ich wurde genauso laut: ‚Wenn im Zeugnis irgendetwas Ehrenrühriges steht, sehen wir uns vor Gericht!‘ Wir führten ein lebhaftes Wortgefecht, bis er sich plötzlich zum Ersten Offizier umdrehte und sagte:,So was möchte ich einmal von Ihnen erleben! Guten Tag, meine Herren‘ – und verschwand. Ab da hatte ich ein ausgezeichnetes Verhältnis zum Kapitän. Die Geschichte sprach sich bis zur Reederei herum, ich hatte mir Respekt verschafft.“
Piratenangriff!
1958 erlebte Gebhard Knull als Steuermann seinen ersten Piratenangriff. „Wir lagen mit der ‚Buchenstein‘ vor Buenaventura in Kolumbien vor Anker. Der Mond schien, von Land wehte die Musik vom Vergnügungsviertel herüber und wir ärgerten uns, dass wir Wache schieben mussten. Der Kapitän hatte mir eingeschärft, den gegenüberliegenden Mangrovenwald im Blick zu behalten. Wenig später kam aus dem Wäldchen tatsächlich ein Einbaum mit acht Männern gefahren und nahm Kurs auf uns. Ich schickte den Wachmann auf die Back mit dem Befehl, den Ankerklüsendeckel fallen zu lassen, sobald der erste Pirat raufklettern wollte. Kurze Zeit später hörte ich ein dumpfes Plopp und wie der Kerl ins Wasser stürzte. Die Piraten kehrten um. Ich schoss zur Abschreckung noch mit der Signalpistole hinterher.“ Dafür habe er sich dann ein bisschen Ärger eingehandelt: „Ich sollte zu meiner Sicherheit bis zur Abfahrt nicht mehr an Deck erscheinen, weil man mich auf dem Kieker hatte. Das mit dem Schießen hatte sich herumgesprochen.“
Nach der Fusion des Norddeutschen Lloyds mit der HAPAG zur Hapag-Lloyd AG 1970 fuhr Gebhard Knull als Erster Offizier, bis er 1973 seine Ernennung zum Kapitän erhielt. „Ich hatte das Glück, meine erste Reise auf der ‚Birkenstein‘ zu fahren, einen Frachter, den ich wirklich in- und auswendig kannte.“ Nur die Übernahme gestaltete sich schwierig. „Als jüngster Kapitän löste ich den damals ältesten Kapitän bei Hapag-Lloyd ab. Er weigerte sich genau aus diesem Grund, mir das Schiff zu übergeben. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm mit ‚gesetzten Worten‘ klarzumachen, wer ab sofort auf dem Schiff das Sagen hat. Es war ein eigenartiges und schönes Gefühl, plötzlich ‚derjenige zu sein, welcher‘.“
Kapitänszeit wie sie im Buche steht
1975 wurde Kapitän Knull Nautischer Inspektor, vier Jahre später Vice President Operations bei der Agentur U.S. Naviga, (später Hapag-Lloyd America) in New York. Erst dann wechselte der 1,90-Mann wieder zur Seefahrt und fuhr fünf Jahre auf dem damals kleinsten Containerschiff, das Hapag-Lloyd an eine japanische Reederei verchartert hatte. „Das war die ‚Windward‘ mit 970 TEU. Es ging von Japan über Hongkong bis zur Westküste Australiens, nach Freemantle, und wieder zurück. Diese Route hat mir auch deshalb so gut gefallen, weil ich in jeder Hinsicht eigenständig handeln konnte und mein eigener Herr war. Eine Kapitänszeit wie sie im Buche steht!“, erzählt Gebhard Knull. Dass er in dieser Zeit Windanfälligkeit und Treibstoffverbräuche der ‚Windward‘ mit diversen Tests dokumentierte, bescherte ihm einen Schiffswechsel: Er übergab seine „Forschungsergebnisse“ in der Vorstandsetage. Wenig später erhielt er das Kommando über die noch in Shanghai im Bau befindliche „Berlin Express“.
„Five minutes money or I kill you!”
Auf der „Berlin Express“ erlebte Kapitän Knull mit seiner Mannschaft im August 1991 einen Piratenangriff, der sogar Schlagzeilen in der Tagespresse schrieb. „Es war nachts um eins. Wir fuhren bei gutem Wetter durch die Straße von Malakka Richtung Singapur. Der Lotse hatte einige Stunden Verspätung, also reduzierten wir die Geschwindigkeit. Es war viel Verkehr, der Wachoffizier und ich hatten auf der Brücke zu tun. Gegen 1:15 Uhr sollte der Wachwechsel stattfinden, der Ablöser reagierte aber nicht auf den Telefonanruf. Wir schickten den Ausguck zur Kontrolle nach unten. Er entdeckte, dass meine Kabine aufgebrochen war und meldete es. Als wir dann gemeinsam runtergingen, trafen wir im Gang auf zwei mit Macheten und Pistolen bewaffnete Piraten. „You Captain five minutes money or I kill you!“, riefen sie. Drei weitere kamen dazu, den Schiffbetriebsoffizier als Geisel vor sich herschiebend. Ich dachte in diesem Moment nur: ,Ruhe bewahren‘. Gemeinsam gingen wir zu meiner Kabine. Aber in meinem Safe befanden sich nur 325 Mark und die bordeigenen Handschellen. Die Piraten nahmen mir Uhr, Offiziersmesser und Kugelschreiber ab, dann legten sie mir die Handschellen an. Die Lage war angespannt, sie wollten mehr. Da sie außer ihrer Sprüche kein Englisch konnten, war es schwierig, ihnen klarzumachen, dass das meiste Geld im Safe des Schiffsbüros lag. Irgendwie schaffte ich es und lotste sie dorthin. Den Safe räumten sie dann komplett leer und erbeuteten um die 10.000 Mark. Außerdem nahmen sie alles mit, was von Wert war. Schließlich scheuchten sie uns aufs Heck, fesselten uns aneinander und verschwanden an Seilen über die Reling in das zehn Meter tiefer liegende Boot. Der Piratenboss verschwand als Letzter mit einem lachenden ,No problem, Captain‘ – der Spuk war vorbei!“ Kapitän Knull ist sicher: „Wenn wir alle nicht so diszipliniert und ruhig gehandelt hätten – es hätte Tote geben können!“
K-Zero
Und wie kam er nun zu seinem Spitznamen K-Zero? „Das war damals in New York“, erzählt Gebhard Knull und lächelt: „Als ich mich einem amerikanischen Kollegen vorstellte, fragte er mich, was mein Name auf Englisch bedeute. Ich sagte nur: ,K is K and null means zero‘ – da hatte ich meinen Spitznamen weg.“