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Mit Kapitänspatent an die Wickelkommode

Seit gut einem Jahr ist Immanuel Jürgens Kapitän – und das mit gerade mal 35 Jahren. Der Mann, der eigentlich Medizin studieren wollte, kann sich heute nichts Besseres vorstellen, als Hapag-Lloyds Schiffe sicher von A nach B zu bringen. Hier erzählt er, was man aus Fehlern lernen kann, wie er beherzt einen verletzten Unterarm versorgte, und warum er jetzt erstmal an der Wickelkommode statt auf der Brücke steht.

„Wenn ich eines nicht noch mal mache, dann eine Seenot-Boje im Müll zu entsorgen“, erzählt Immanuel Jürgens und grinst. Der Vorfall ereignete sich auf der Hamburg Express, als er vor einigen Jahren den Sicherheitsstore in chinesischen Gewässern aufräumen ließ. Damals war er noch Chief Mate. „Die Boje stand in der Ecke und ich dachte, das alte Ding kann jetzt doch auch mal weg. Wir gaben sie in Yantian zusammen mit unserem Müll ab und fuhren weiter. Zehn Stunden später plötzlich ein aufgeregter Anruf aus Hamburg: ,Wir kriegen hier Notsignale, was ist passiert?‘ Der Kapitän war irritiert, denn bei uns an Bord war alles in Ordnung.“ Immanuel Jürgens schwante, dass das womöglich mit der entsorgten Boje zu tun haben könnte. „Tatsächlich hatte ein Müllmann irgendwo in Südchina das Notsignal ausgelöst, und das funkte munter von der Müllkippe an die deutsche Seenotrettung, die dann sofort Hapag-Lloyd kontaktiert hatte.“ Immanuel Jürgens beichtete zerknirscht das Malheur. „Aber glücklicherweise war der Kapitän gnädig und der Vorfall nach zwei Tagen vergessen. So ist es eben: Wenn du Entscheidungen triffst, können dir auch Fehler unterlaufen.“ Viele Fehler können es bei dem gebürtigen Reinbeker nicht gewesen sein, denn seine Ernennung zum Kapitän erhielt er mitten in der Pandemie 2020 mit gerade mal 35 Jahren.

Vom Krankenhaus aufs Containerschiff

Immanuel Jürgens gehört nicht zu den Kapitänen, die schon als Kind sehnsüchtig jedem Pott hinterher schauten. „Mein Vater war bei der Marine, aber das war vor meiner Zeit und hatte eigentlich keinen Einfluss auf meinen Berufswunsch. Ich interessierte mich für Medizin, hatte nach Schule und der Bundeswehr zwei Praktika im Krankenhaus in der Pflege absolviert. Als ich keinen Studienplatz bekam, überlegte ich, was noch möglich wäre und kam mit einem befreundeten Schifffahrtskaufmann ins Gespräch. Das hörte sich spannend an – nur im Büro zu sitzen, das konnte ich mir nicht vorstellen. Mit dem Schiff die weite Welt erkunden, das klang schon besser!“ Und so bewarb sich Immanuel Jürgens 2006 zur Ausbildung als Schiffsmechaniker bei Hapag-Lloyd. Und fiel erstmal durch. „Ich habe wohl einen nicht sonderlich technisch interessierten Eindruck gemacht. Allerdings bekam ich zwei Wochen vor Ausbildungsbeginn das Angebot, als Nautischer Offiziersanwärter anzufangen.“ So betrat der damals 22-Jährige als Auszubildender mit sieben weiteren NOAs das erste Mal im Leben ein Containerschiff, die „Chicago Express“, die 2006 ganz neu als Ausbildungsschiff startete. „Zehn Wochen geballtes Wissen einatmen, das Schiff vom Rumpf bis zur Brücke kennenlernen, die ersten Wachen schieben und dazu ein paar großartige Landgänge von Rotterdam bis Singapur – das war anstrengend, aufregend und schön zugleich!“, berichtet der Kapitän rückblickend. „Als Offizier und auch jetzt als Kapitän lasse ich meine Ladung nicht gern allein, aber ich kann nur allen Azubis raten: Genießt die erste Zeit an Bord und nehmt, sobald es wieder möglich ist, jeden Landgang mit.“ Dass zur Seefahrt auch der eine oder andere Sturm gehört, erlebte Immanuel Jürgens auf seiner zweiten Reise als Auszubildender: „Das war im Nordatlantik vor Halifax. Wir mussten durch ein Sturmtief, das Schiff rollte wie wild. Wir saßen in der Messe, als das Schiff plötzlich so überholte, dass die Stühle am Tisch umfielen. Ein mitreisender Techniker stand aus Reflex auf und wurde beinahe an die Wand geschleudert. Glücklicherweise ist ihm nichts Schlimmes passiert. Am nächsten Tag haben wir dann beim Rundgang die vielen Dellen in den Containern und Schäden am Schiff entdeckt. Aber als Azubi bist Du da eher Zaungast. Später als Chief Mate oder Kapitän trägst du die volle Verantwortung.“

Erste Hilfe am Unterarm, aber bloß nicht zu viel Druck!

Wie sich Verantwortung anfühlt und man als Chief Mate beherzt Entscheidungen trifft, erlebte Immanuel Jürgens auf der New York Express. „Wir lagen im Hafen von Mersin an der türkischen Küste. Während der Reise hatten wir das Schiff für einen Scrubber-Umbau vorbereitet, also für ein neues Abgasreinigungssystem, das in der Hamburg Klasse getestet werden sollte. Dazu mussten wir im Maschineraum einiges umbauen, die nebenan liegenden Kabinen entkernen und das Material an Land entsorgen. Am Kai stand ein Truck mit unserem Matrosen auf der Ladefläche, der unter anderen auch scharfkantige Metallplatten entgegennehmen musste. Da passierte es: Er verletzte sich an einer der Kanten, schnitt sich ziemlich heftig den Unterarm auf. Ich war gerade im Büro, als mich der aufgeregte Funkspruch erreichte. Einen Krankenwagen rufen? Selbst Hand anlegen? Der Zweite Wachoffizier und ich entschieden dann, den Arm zu versorgen, sprich, wir tackerten die offenen Wunde. Glücklicherweise war der Mann hart im Nehmen und die Situation nicht lebensbedrohlich. So fuhr der Verletzte noch drei Wochen mit und ging erst in Singapur von Bord“, erzählt der Kapitän und wiegelt ab: „Sicherlich gibt es dramatischere Situationen, die wir an Bord meistern müssen, doch auch im Alltag zeigt sich, was jeder einzelne draufhat.“

An seinem Arbeitgeber schätzt Immanuel Jürgens besonders den Umgang mit den Mitarbeitenden. „Hapag-Lloyd kümmert sich um seine Leute und wertschätzt jeden Einzelnen, so habe ich das jedenfalls bisher erlebt. Auch das Weiterbildungsangebot finde ich beeindruckend, man hat das Gefühl, dass in die eigenen Leute gern investiert wird. Und das macht am Ende auch den guten Spirit aus, der bei uns herrscht.“ Als Kapitän spürt Immanuel Jürgens, dass auch er an Bord maßgeblich für die Stimmung der Mannschaft verantwortlich ist. „Mal abgesehen vom Koch“, lacht er und fährt fort: „Ein gutes Klima schaffen, nicht unnötig Druck aufbauen, den Leuten vertrauen – das finde ich wichtig. Erst wenn es hart auf hart kommt, merkst du, ob du auf die Leute zählen kannst.

Wenn sich die Maschine plötzlich abschaltet…

Seine erste Kapitänsfahrt Fahrt im August 2020 von Genua über den Atlantik und zurück verlief reibungslos. „Die Einarbeitung war super, alles erfahrene Leute an Bord, ein guter Start!“ Aber schon auf der zweiten Rundreise musste der Kapitän beweisen, dass er auch mit Stress umgehen kann: „Wir kamen aus Savannah, gut drei Stunden auf dem Savannah River Richtung Nordatlantik lagen hinter uns. Gerade hatten wir den Lotsen verabschiedet, um aufs offene Meer zu fahren. Da schaltete sich plötzlich die Maschine ab. Blackout, totaler Stillstand. Und das bei neun bis zehn Windstärken. Eine Hydraulikleitung war geplatzt. Wir ankerten und riefen alle verfügbaren Leute zur Reparatur der Leitung und zum Reinigen des Maschinenraums. Begeisterung sieht an einem Sonntagmittag anders aus, aber die gemeinsame Arbeit, das Reinigen und Reparieren der Maschine hat alle zusammengeschweißt – letztendlich war das ein super Manöver. Und alle wussten: Wäre das Ganze eine halbe Stunde vorher passiert, wäre das ganze Manöver wesentlich anspruchsvoller geworden. Glück gehört manchmal eben auch dazu.

Vaterfreuden!

Mit solchen Abenteuern ist jetzt vorerst Schluss, denn als frisch gebackener Vater hat sich Immanuel Jürgens für eine dreimonatige Elternzeit entschieden. Rechtzeitig zur Geburt kam er nach Hamburg und freut sich, jetzt für Tochter Jonna und Freundin Stella da zu sein. „Die Geburt von Jonna ist das Schönste, was ich bisher erlebt hab, einfach ein unglaubliches Gefühl!“, freut sich Immanuel Jürgens. „Wir waren sogar schon auf einem kurzen Campingurlaub auf Fehmarn, das hat die Kleine gut überstanden. Jetzt heißt es wickeln und zuschauen, wie unser Mädchen größer wird. Und ich habe ein gutes Gefühl mit meinem Arbeitgeber. Die Seefahrt mag nicht immer familienfreundlich sein, aber Hapag-Lloyd ist es auf jeden Fall!"