In der letzten Ausgabe des LOOKOUT haben wir berichtet, dass wir das Unternehmen sind, das "das weltgrößte Auge am Himmel" verschifft und Weltraumwissenschaftlern zu bedeutenden Durchbrüchen in ihrer Arbeit verhilft. Hier kommt nun eine Fortsetzung des Artikels mit der Weltraumforscher Michele Cirasulo. In unserem Interview erklärt der ELT-Programmwissenschaftler, warum die Wissenschaft überhaupt ein so riesiges Teleskop braucht und wie Wissenschaftler Leben außerhalb unseres Planeten entdecken können.
Könnten Sie Ihre Rolle rund um das ELT bitte kurz erläutern?
Dr. Michele Cirasuolo: Ich bin Astrophysiker und der ELT Programme Scientist. Das ELT ist als Programm des European Southern Observatory (ESO) aufgesetzt. Es umfasst viele einzelne Projekte zur Errichtung des ELT auf dem Cerro Armazones, einem mehr als 3.000 Meter hohen Berg in Chile. So gibt es ein Projekt zum Bau der Spiegel, eins für die Instrumente, eins für die Infrastruktur, eins für die Kuppel usw. Die Ebene an der Programm-Spitze muss alle Aktivitäten koordinieren und dafür sorgen, dass das komplette System nachher wie eine Sternwarte funktioniert. Ich bin dafür verantwortlich, dass wir unser Versprechen an die weltweite Wissenschaft erfüllen und ihnen die Forschung und weitere Entdeckungen ermöglichen. Dafür haben wir ein großes Team an Ingenieurinnen und Ingenieuren. Sie designen das Teleskop und die Instrumente, planen die Bauphasen, stehen in Kontakt mit den herstellenden Industrien der Bauteile und der Teleskop-Materialien. Und dann kommt Hapag-Lloyd ins Spiel und verschifft alles von Europa nach Chile. Dort werden sämtliche Teile zusammengebaut und in Betrieb genommen. Das Projektteam muss alles überprüfen und sicherstellen, dass das ELT korrekt und zuverlässig funktioniert.
Wann wird das ELT final installiert?
Es wird Ende 2027 final einsatzbereit sein. Wir benötigen so lange, weil es sehr viele Bauteile sind: Der riesige Hauptspiegel, der all das Licht der Planeten, Galaxien, Sterne und alles andere sammelt, hat einen Durchmesser von 39 Metern. Es ist unmöglich, diesen in einem Stück herzustellen. Wir haben ihn daher in 798 Einzelteile, in Form von Sechsecken, wie Bienenwaben, zerlegt. Die Spiegelkomponenten werden aus einem glaskeramischen Werkstoff namens Zerodur in Europa gefertigt. Sie dürfen sich nicht ausdehnen bei Temperaturänderungen, sondern genau so bleiben wie sie sind. Danach müssen sie poliert werden, um eine sehr präzise Oberfläche, auf den Nanometer genau, zu erhalten. Jede einzelne Spiegelkomponente hat eine etwas andere Form. Danach werden sie verpackt, nach Chile versendet und dort auf der großen Hauptstruktur zusammengebaut, um sicherzustellen, dass alles zusammen funktioniert. Es dauert also noch lange, bis wir das Licht der Sterne sehen können. Aber ehrlich gesagt, sechs Jahre sind gar nicht so viel Zeit für so ein anspruchsvolles und komplexes Projekt.
Was kann das ELT besser als die heutigen Teleskope?
Die größten Teleskope sind heute vom Durchmesser her maximal 8 bis 10 Meter groß. Die ersten Teleskope umfassten nur wenige Zentimeter, später einen Meter, dann zwei Meter. Der Fortschritt lag in der Verdopplung des Durchmessers und wurde ungefähr alle paar Jahrzehnte erreicht. Jetzt werden wir mit dem ELT eine fünffache Vergrößerung von acht auf fast vierzig Meter erzielen. Das ist ein Riesensprung – und das bringt weitere außergewöhnliche Herausforderungen mit sich.
Wie sehen diese Herausforderungen aus?
Das gesamte Teleskop wird so breit wie ein Fußballfeld und doppelt so hoch wie das Fußballstadion "Allianz Arena" in München sein. Um das Licht einzufangen, benötigen wir einen großen Spiegel. Je größer dieser ist, desto höher muss die Präzision der Steuerung sein, ansonsten wird das Bild unscharf. Wir müssen also nicht nur zahlreiche Spiegelteile und eine Hauptstruktur mit einem Gewicht von rund 3 500 Tonnen bauen, sondern auch in der Lage sein, die Form der Spiegel sehr genau zu steuern (bis auf wenige Nanometer genau) – alles während sie sich bewegen, um Ziele am Himmel zu beobachten.
Können Sie sich vorstellen, die Allianz-Arena auf den Nanometer genau zu bewegen? Inklusive sämtlicher Oberflächen darin? Und zudem müssen wir noch die Atmosphäre mit Verwirbelungen beachten, die das Bild verzerren. Sie kennen wahrscheinlich die sehr scharfen Bilder des Hubble-Weltraumteleskops. Dagegen erscheinen Bilder von Teleskopen auf der Erde, die größer sind als Hubble, unschärfer. Seit mehreren Jahren arbeiten wir deshalb an der Anpassung der Optik.
Wie funktioniert diese adaptive Optik genau?
Innerhalb des Teleskops haben wir einen speziellen Spiegel mit einer zwei Millimeter dünnen Hülle gebaut. Hinter dieser Hülle installieren wir 5.000 Magneten. Diese so genannten Aktuatoren können die Oberfläche des Spiegels tausend Mal pro Sekunde verändern. Dieser spezielle Spiegel bewegt sich also wie verrückt und gleicht aus, was die Moleküle in der Atmosphäre verzerren. Wir beobachten zum Beispiel einen Stern. Dieser Stern muss für uns so scharf wie möglich sein – so als befände sich unser Teleskop im Weltall. Es ist jedoch unmöglich, ein dermaßen großes Teleskop im Weltall zu positionieren. Aber mit dieser Technologie können wir die Atmosphäre praktisch „entfernen“ und das Licht so sauber wie möglich einfangen. Wir erschaffen de facto ein Weltraum-Teleskop auf Erden.
Und das bringt viele weitere Probleme mit sich. Die präzise Arbeit für die Wissenschaft sicherzustellen erfordert die Kalkulation über superschnelle Computer und die Steuerungen der Spiegel, sowohl bei der Hauptstruktur als auch bei den Instrumenten – und das alles auf einem 3.000 Meter hohen Berg bei Wind, der sich auf das gesamte System auswirkt. Jeder einzelne Aspekt unseres Projekts ist herausfordernd und alles ist einmalig. Wir müssen für jeden Aspekt etwas Neues entwickeln.
Lassen Sie uns über die Motivation sprechen, dieses Teleskop zu bauen: Welche Entdeckungen erhofft sich die Wissenschaft mit dem ELT?
Vor fast zwanzig Jahren haben wir das 8-Meter-Klasse-Teleskop gebaut. Es war das größte seiner Zeit. Wir haben seine Möglichkeiten bis an die Grenze ausgeschöpft: Unter anderem haben wir die ersten Exoplaneten entdeckt, also Planeten außerhalb unseres Sonnensystems, weit entfernte Galaxien und Schwarze Löcher im Zentrum unserer Milchstraße. Vor ungefähr zehn Jahren haben wir festgestellt, dass wir unsere Entdeckungen nur dann weiter vorantreiben können, wenn wir einen großen Sprung nach vorne machen. Ein Teleskop mit größerem Durchmesser (wie das ELT) ist viel empfindlicher und ermöglicht daher die Beobachtung viel schwächerer und weiter entfernter astronomischer Objekte, und gleichzeitig liefert es noch schärfere Bilder, um feinere Details zu erkennen. Nur so kommen wir näher an die Exoplaneten heran, um auch ihre Atmosphäre zu charakterisieren. Dabei ist eine Frage besonders spannend: Ist dort Leben möglich?
Wie können Sie Leben erkennen?
Es klingt verrückt, aber stellen Sie sich einen Stern vor, von dem wir wissen, dass er zehn Lichtjahre entfernt ist. Nun wird ein Planet auf seinen Bahnen vor diesem Stern vorbeiziehen, und ein Teil des Sternenlichts durchdringt die Atmosphäre dieses Planeten auf seinem Weg zu uns. Dann können wir aufgrund der Abweichungen der Atmosphäre aus unseren bisherigen Messungen die Zusammensetzung dieser Planetenatmosphäre erkennen. Das ELT ist so stark, dass wir mit Hilfe der kleinsten Unregelmäßigkeit erfahren, ob diese Atmosphäre Sauerstoff oder Kohlenstoff beinhaltet und Leben ermöglicht oder nicht.
Das ist aber nur der eine wissenschaftliche Fall. In einem anderen Fall beschäftigen wir uns mit dem äußersten Ende unseres Universums. Wir wissen, dass es den Urknall vor rund 13,5 Milliarden Jahren gab und dass sich seitdem das Universum immer schneller ausdehnt. Aber wir wissen nicht, wie die ersten Galaxien entstanden sind. Dafür benötigen wir ein Riesenteleskop wie das ELT. Wir betreiben Archäologie im Weltall: Woraus sind die Galaxien, Sterne und der Inhalt des Universums gemacht? Deren Atome und Moleküle? Wie sind sie entstanden? Wie haben sie sich entwickelt? Wie kommt ihr Licht von 13,5 Milliarden Jahren zu uns
Warum wird das Teleskop gerade dort in Chile stehen? Gäbe es nicht viele andere Orte dafür?
Ja und nein. Die besten Orte für Teleskope sind tatsächlich nur zwei oder drei weltweit. Unser Platz auf dem Cerro Armazones in der Atacama-Wüste ist der beste Platz weltweit. Dann gibt es noch einen Vulkan auf Hawaii und einen auf La Palma. Denn wir benötigen zum einen möglichst trockene Bedingungen wie in einer Wüste. Je mehr Feuchtigkeit vorhanden ist, desto mehr absorbiert sie das Licht, unsere Bilder werden unscharf und unsere Beobachtungen schwieriger. Zum anderen sollte das Teleskop möglichst hoch gelegen sein, um weniger Atmosphäre über sich zu haben, die wir wieder ausgleichen müssen. Chile bietet uns einen sehr guten Kompromiss: Wir haben das Andengebirge, und die komplette Meeresfeuchtigkeit liegt darunter. In der Atacama-Wüste regnet es nur ungefähr alle zehn Jahre. Zudem ist der Wind ideal, da er sehr regelmäßig ist und wenige Turbulenzen unsere Beobachtungen stören können.
Was ist Ihre persönliche Einschätzung: Werden wir mit diesem Teleskop anderes Leben auf anderen Planeten finden?
Wahrscheinlich ist es schwierig Leben zu finden. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass ein Planet die Voraussetzungen für Leben hat und über die richtige Balance zwischen Sauerstoff und anderen Elementen verfügt – so wie unsere Erde. Das ist unser Ziel: Ein Planet, auf dem wir Wasser in flüssigem Zustand haben sowie eine Atmosphäre, in der das Atmen möglich ist, und auf dem wir zum Beispiel Pflanzen oder Mikroben finden.
Mehr Informationen über das Teleskop und die erstaunlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die es liefern wird, finden Sie auf der Website: elt.eso.org
Mehr zum Transport des ELT von Italien nach Chile erfahren Sie in unserem LOOKOUT Interview mit unseren Kollegen Paolo Orsi und Benjamin Celis.