Während die Seeleute von Hapag-Lloyd weltweit über die Meere schippern, sorgte Systemanalyst Helmut Boveland 24 Jahre lang in der IT des Konzerns für den reibungslosen Verkehr der Datenströme. 2020 verabschiedete er sich in den Ruhestand. Wie der ehemalige Goldschmied zu Hapag-Lloyd kam, was er in seiner Werkstatt zaubert und wie er seiner Firma ein kleines Denkmal setzte, erzählt er hier.
„Ich habe meinem Vater schon als Vierjähriger beim Basteln seiner Papierflugzeuge zugeschaut. Später, als ich größer war, dachte ich, das würde ich hier und da ein bisschen anders machen“, lächelt Helmut Boveland. Auf dem Bücherregal in seinem gemütlichen Wohnzimmer zeugen zwei Exponate von seiner Papierkunst: eine Katze und ein filigranes Osterei, in dem ein kleiner Papierhase hockt. Nebenan in seiner Werkstatt lagern Meisterstücke aller Art: Vom Frachter bis zur kunstvollen geometrischen Figur, vom Flugzeug bis zum Hirschgeweih, vom Weihnachtsstern bis zu einer Miniatur der Wartburg, in dessen Original einst Martin Luther die Bibel übersetzte.
„Handwerklich begabt bin ich seit ich denken kann, mein erstes Papierflugzeug habe ich schon mit Fünf gebaut“, erzählt Helmut Boveland. Seine Begabung habe auch mit seinem Handicap zu tun, erklärt er. „Meine Mutter hatte während der Schwangerschaft Röteln, ich kam schwerhörig zur Welt. Die Welt begriff ich von klein auf vor allem durchs Sehen und konzentrierte Beobachten, so habe ich auch meine Feinmotorik geschult. Wie schlecht ich höre, wurde allerdings erst auf dem Gymnasium entdeckt, als meine schulischen Leistungen einbrachen. Ich bekam ein Hörgerät. Aber es waren einfach zu viele Schüler und Nebengeräusche. Und die Lehrer standen mit dem Rücken zu mir an der Tafel – ich hatte keine Chance, da mitzukommen.“
Goldschmied mit Computer, programmieren für Eheringe & Co.
Helmut Boveland wechselte auf die Schwerhörigenschule in Hamburg, kämpfte sich nach dem Realschulabschluss aber zum „normalen“ Gymnasium zurück. Nur dort wurden seine Lieblingsfächer Physik und Mathematik als Leistungskurse angeboten. Nach dem Abitur absolvierte er eine Ausbildung zum Goldschmied. Und hier konnte der Auszubildende, neben seinem handwerklichen Geschick, etwas einbringen, dass ihn später zu Hapag-Lloyd tragen sollte: Sein Faible für Computer. „Wir hatten schon in der Schule angefangen zu programmieren, das fand ich hochinteressant! Von meinem ersten Azubi-Gehalt kaufte ich mir einen Sinclair ZX 81 mit einem Arbeitsspeicher von gerade mal einem Kilobyte“, lacht Helmut Boveland. Das war 1981, als die ersten Personal Computer in Deutschland auf den Markt kamen. „Das kleine schwarze Ding mit Folientastatur schloss ich zuhause mit einem Antennenkabel an den Fernseher an, als Speicher benutzte ich einen Kassettenrekorder – Programme speicherte man damals noch auf Magnetband.“ Erste Programme schrieb der Auszubildende für seine Firma. „Wir hatten bundesweit größere Bestellungen für Ehe- und Verlobungsringe. Ich berechnete Materialeinsatz und Verbrauch, druckte Tabellen aus, damit die Kollegen nicht bei jeder einzelnen Ringgröße ausrechnen mussten, wie viele Steine sie beispielsweise brauchten. Später begleitete ich auch die die Einführung der elektronische Datenverarbeitung.“
Aufbruch zu neuen Ufern, Durchstarten bei Hapag-Lloyd
17 Jahre arbeitete Helmut Boveland als Goldschmied, dann machte seine Lunge nicht mehr mit: „Nach der Reha entschied ich mich 1997 für eine Umschulung zum Datenverarbeitungskaufmann. Das war mein Start bei Hapag-Lloyd.“ Der frisch gebackene EDV-Mann wurde nach der Ausbildung sofort übernommen: „Als Programmierer kam ich in die Abteilung, in der bis heute die Logistik weltweit gesteuert wird: Wenn jemand von Hamburg nach Brasilien umzieht und den ganzen Hausstand verschifft, will er wissen, was es kostet, wie lange es dauert und auf welcher Strecke das Schiff fährt. All diese Programme sind bei Hapag-Lloyd per Hand geschrieben worden – eine unglaubliche Eigenleistung!“, findet der 63-Jährige. „Dazu kommen spezielle Anforderungen wie Gefahrgut. Tischtennisbälle sind beispielsweise leicht entflammbar, die müssen speziell deklariert und gelagert werden. Auch für Gefahrgut wurden Programme entwickelt. Software, die Hapag-Lloyd kostenlos veröffentlichte, schließlich befördert unsere Reederei auch Container anderer Unternehmen. Das hat die gesamte Containerschifffahrt sicherer gemacht.“
Draußen strömen die Waren, drinnen sorgt die IT für Sicherheit und Updates
Und wie muss man sich den Arbeitsalltag eines Systemanalysten vorstellen? Helmut Boveland erklärt: „Rund viermal im Jahr wird an Wochenenden neue Software installiert, jeweils zwei Monate bereiten sich alle Beteiligten und auch der externe Dienstleister darauf vor. Samstags werden die Systeme dann runtergefahren und die Installation gestartet, nachts fahren die Systeme wieder hoch.“ Dabei gäbe es naturgemäß immer die eine oder andere Unstimmigkeit. „Genau da geht die Systemanalyse los. Fehler suchen, finden und eliminieren: „Man guckt quasi von der Rückseite auf die laufenden Programme, findet die Zeile mit dem falschen Code – und gibt dem Entwickler dann Bescheid.“ Helmut Bovelands Alltag vor dem Rechner war immer nah dran am Alltag der Seeleute: „Da kam schon mal abends um neun einen Anruf vom Abteilungsleiter: ,Du muss kommen, wir können in Amerika keine Rechnung drucken!‘ oder ,Wir kriegen die Zollpapiere nicht an die Schiffe‘. Von klein bis schwerwiegend, es kann alles passieren und oft geht es dabei um viel Geld“, erzählt der Systemanalyst. Die Ansprüche seien über die Jahre gestiegen: „Heute will ein Kunde auch auf seinem Handy verfolgen können, wo sein frisches Obst unterwegs ist und ob die Temperatur im Kühlcontainer stimmt. Alles muss reibungslos funktionieren, ohne dass in das interne System reingegrätscht werden kann. Wenn sich jemand übers Handy an eine interne Software von Hapag-Lloyd reinhacken würde, das wäre eine Katastrophe! Rund 200 Kollegen und Kolleginnen kümmern sich in der IT darum, dass das nicht passiert.“
Vom Rechner in den Ruhestand: Zeit für filigrane Papierkunst
Auf dem Weg in seine Werkstatt zeigt Helmut Boveland auf die Nachbildung eines Propellerflugzeugs, das in einer Vitrine neben weiteren Flugzeugen thront: „Eine ,Super Constellation‘, bestehend aus 500 Teilen bei nur 6,2 Gramm Gewicht. 115 Stunden habe ich daran gearbeitet“, erzählt er stolz. Unschwer kann man sich vorstellen, mit wie viel Geduld er auch im Job noch den kleinsten Ungenauigkeiten behob. Seine Arbeitszimmer ist bis zu Decke mit Kisten und Kasten in Regalen bestückt, auf dem Arbeitstisch warten angefangene Modelle, geometrische Formen im Kleinstformat, in die er weitere Miniaturkonstruktionen hineinbaut: „Diese hier kenne ich in weit größer noch aus meiner Kindheit, wir sind Laterne damit gelaufen“, lacht der dreifache Großvater und zeigt auf einen Dodekaeder, der gerade mal zwei Zentimeter misst.
Seit der Pandemie kümmert er sich noch häufiger um seine drei Enkelkinder, für die der bastelnde Opa ein Geschenk und die Werkstatt einer der schönsten Spielplätze sein muss. „Gerade haben sie meine alte Minitrix-Eisenbahn entdeckt, die wollen wir demnächst mal aufbauen.“ Nur ein paar winzige Hapag-Lloyd-Container im Regal erinnern noch an seinen Arbeitgeber. „Und ich habe auch mal das Hapag-Lloyd-Logo in 3D gebaut, das stand lang bei mir im Büro, bis ich es zum Abschied unserer Sekretärin schenkte“, erzählt Helmut Boveland. Ob es noch dasteht, an der Ericusspitze bei den Kollegen in der IT? Es müsste mal jemand nachschauen…