Wolfram Guntermann liebt die Arbeit auf See und an Land gleichermaßen, keine Branche sei so spannend und vielfältig, findet er. Und der Kapitän ist stolz darauf, als „Director Regulatory Affairs“ am Ballindam für eine nachhaltigere Seefahrt zu sorgen. Hier erzählt er von ersten Reisen nach Südamerika, wie er in internationalen Gremien über sauberere Brennstoffe verhandelt und welchen „Brennstoff“ er zuhause im eigenen Garten pflanzt
Ein bisschen Wehmut schwingt schon mit, als Wolfram Guntermann am Hamburger Hafen auf die Südseite der Elbe blickt. „Mit 19 lief ich mit meinem schweren Seesack durch den alten Elbtunnel, um drüben bei Schuppen 76 an Bord zu gehen. So viel könnte ich heute gar nicht mehr schleppen“, lacht der 1,97 Meter-Mann. In seiner Kapitänsuniform sieht er allerdings so vital aus, dass man ihm das nicht glauben mag. Zuletzt trug er sie vor 24 Jahren bei der Taufe der London Express in Southampton – sie passt immer noch tadellos. „Gestern, als ich das Jackett zum Lüften raushängte, fand ich sogar noch meinen Spickzettel für die Rede, die ich damals gehalten habe.“ Der Kapitän nestelt ein Stück Papier heraus, faltet es auf und zitiert Reiseverlauf, Hafenfolge, Ladung an Bord. „Und dann steht da noch, dass sich das Schiff prima im Südwest-Monsun geschlagen hat. Die Taufe der London Express mit Militärkapelle und den beiden Nationalhymnen war für mich ein absolutes Highlight!“, schwärmt Wolfram Guntermann.
Etwas kleiner fielen die Boote aus, auf denen der Gymnasiast Wolfram in den 1970er Jahren durchs Wasser pflügte: „Ich komme aus Hagen in Westfalen, Wasser war schon immer mein Element. In jeder freien Minute war ich auf den gestauten Ruhr Seen unterwegs. Vierer, Achter – ich liebte das Rudern so sehr, dass mein Vater mich eines Tages fragte, ob ich schon beim Einwohnermeldeamt gewesen wäre, um meinen ersten Wohnsitz im Ruderverein anzumelden“, grinst der 61-Jährige. Von da war es nicht mehr weit zu seinen ersten Fahrten ab Hamburg: „Erst ging es mit der ,Holsatia‘ nach Indonesien, dann auf einem Stückgutfrachter Richtung Südamerika auf den Amazonas nach Manaus. Die fremde Kultur, die Hitze, die vielen kleinen Häfen, wo wir buchstäblich unser Schiff an einer Palme festmachten und Paranüsse in Säcken über eine Holzrutsche luden – das fühlte sich an wie in „Fitzcarraldo“, dem Film von Werner Herzog. So ein Stückgutfrachter wie die ,MS Heidelberg‘ würde heute der Länge nach problemlos auf das Deck eines Containerschiffs passen.“
Nach diversen Fahrten bei Hapag-Lloyd, dem Studium in Elsfleth und in Plymouth wechselte Wolfram Guntermann zur Horn Linie, da es 1985 ein Einstellungsstopp bei Hapag-Lloyd gab. „Auf Kühlschiffen fuhr ich unzählige Male nach Costa Rica. Dort angekommen luden wir um die 160.000 Kisten mit Bananen übers Fließband aufs Schiff und dann ging es zurück nach Antwerpen. Damals hatten wir noch Passagiere an Bord, die ich als Dritter Offizier zu betreuen hatte.“ Bei der Horn Linie stieg Wolfram Guntermann recht schnell vom Dritten, Zweiten bis zum Ersten Offizier auf. Bis im Sommer 1988 Post von Hapag-Lloyd kam: „Es war das Angebot, zurückzukehren – unter der Bedingung, dass ich als Zweiter Offizier einsteigen und zusätzlich zum nautischen das technische Patent machen müsse. Mit Anfang 30 noch mal studieren? Das war eine sinnvolle Entscheidung“, resümiert Wolfram Guntermann. Vorerst ging’s allerdings an Land, denn in London war eine Position als Stauplaner im „Trio Tonnage Center“ zu besetzen. Bereits nach einem Jahr übernahm er die Leitung des Büros.
Das technische Patent stand noch aus, Wolfram Guntermann lernte schließlich zwei Jahre in Hamburg, was die Maschine im Innersten zusammenhält: „Im März 1992 fuhr ich auf der Sierra Express als Technischer Offiziers Assistent. Wir waren mit Wartungsarbeiten an einem Hilfsdiesel betraut. Nach erfolgter Reparatur wurde die Maschine gestartet und stand innerhalb von Sekunden in Flammen! So überrascht ich über den plötzlichen Feuerausbruch war, desto positiver meine Erkenntnis über die Effektivität von 12 kg-Löschern, mit denen wir das Feuer binnen Sekunden löschten.“ Als Schiffsbetriebsoffizier konnte er sich sowohl unter als auch an Deck voll entfalten.
Nach dem Abschluss des technischen Patentes im Sommer 1993 meldete sich Wolfram Guntermann freiwillig bei der Marineschule Mürwik zur Ausbildung zum Oberleutnant zur See der Reserve. Er absolvierte umfangreiche Wehrübungen von Konvoi Operationen bis zur ECLO (Embargo Control Liaison Office)-Ausbildung, auch eine dreiwöchige Stationierung auf den „White Cliffs of Dover“ an der englischen Südküste gehörte dazu. Mittlerweile ist Wolfram Guntermann Korvettenkapitän der Reserve und möchte sein Engagement bei der Marine nicht missen: „Die Idee eines konstruktiven Austausches zwischen NATO-Seestreitkräften und Handelsschifffahrt hat im Rahmen der aktuellen Aggression gegen die Ukraine eine signifikante Bedeutung.“
1996, mit gerade mal 35 Jahren, wurde er Kapitän. „Ich löste Kapitän Arnold Lipinski auf der Heidelberg Express in Bremerhaven ab. Dieser Rollentausch vom Chief Mate zum Kapitän war schon ein Ereignis. Das erste Mal derjenige zu sein, der den Startschuss zur Reise gibt, das vergisst du nicht!“
Mit dem Drei-Kontinente-Dienst ging es zu Nordamerikas Ost- und Westküste, dann rüber nach Hongkong und zurück. „Ich muss immer so lachen, wenn die Leute in Deutschland über die eine Stunde Zeitumstellung zur Sommerzeit klagen. Von Hongkong nach Bremerhaven fährst du gegen die Zeit, und musst du die Uhr insgesamt 18-mal je eine Stunde vorstellen.“
Wolfram Guntermann ist dankbar, dass in seiner Fahrtzeit als Kapitän außer ein paar schweren Wettern und kleineren Unfällen, nie etwas Dramatisches passiert ist. „Als junger Mann, noch vor dem Besuch der Seefahrtschule Elsfleth, habe ich mal bei einer Such- und Rettungsaktion im Nord-Atlantik mitgemacht. Ein Bulkcarrier war auseinandergebrochen. Einige der Seeleute haben es in das Rettungsboot geschafft, andere wurden nicht mehr gefunden. Danach sagte ich mir – und das kann ich nur jedem empfehlen, der diesen Beruf erlernt: Nimm Deine Ausbildung absolut ernst!“
So sehr Kapitän Guntermann das Wasser, die Seefahrt und alles, was dazu gehört liebte – ein Angebot konnte er nicht ausschlagen: „1999 wurde ein Nachfolger für die Marine Operations in Piscataway, New Jersey in den USA gesucht – das konnte ich mir nicht entgehen lassen!“ Aus den vereinbarten zwei wurden schließlich neun Jahre. In dieser Zeit baute der Kapitän nicht nur seine beruflichen Fähigkeiten aus, er lernte auch seine Frau Christina bei Hapag-Lloyd America kennenlernte und beide Kinder wurden dort geboren.
„In den Anfängen, bevor wir nach Red Bank (New Jersey) zogen, lebte meine Frau noch in Greenwich Village. Die ,Gay Pride Parade‘ von der Feuerleiter mit einem Gin Tonic in der Hand zu beobachten, das Feiern der Leute bis tief in die Nacht zu erleben und dann um sieben Uhr zusammen ins Büro zu fahren – eine unvergessliche Zeit!“ Überhaupt der Big Apple: „Von der japanischen Punkrock-Band in der Lower East Side bis zur Met mit Placido Domingo, vom MOMA bis zum Metropolitan Museum – in Manhattan gibt es nichts, was es nicht gibt.“
Seit 2011 arbeitet Kapitän Guntermann als „Director Regulatory Affairs“ bei Hapag-Lloyd am Ballindamm. Hier kümmert er sich weltweit um die Lobbyarbeit in Umweltangelegenheiten, welche die Hapag-Lloyd-Flotte betreffen. „Zusammen mit den führenden Schifffahrtsverbänden wie dem World Shipping Council adressieren wir bei der IMO wichtige Umweltfragen. Darüber hinaus haben wir einen Sitz beim European Sustainable Shipping Forum (ESSF) der Europäischen Kommission, wo wir auch in den Unterarbeitsgruppen mitwirken. Das ist herausfordernd und sehr interessant – allerdings nichts für Ungeduldige“, schmunzelt Wolfram Guntermann. Seine Erfahrung als Seemann habe ihm dabei immer geholfen. „Es kann schon passieren, dass du mit Teilnehmenden zusammensitzt, die dich fragen, ob man nicht einfach ein paar verschiedenen Kraftstoffe mischen könne, um den Schwefelgehalt zu senken. Ich kann dann glaubhaft versichern, dass das keine gute Idee ist. Als Ingenieur weiß ich: Wenn du Brennstoffe mischst, kann das zu gravierenden technischen Störungen führen!“
Würde er gern noch mal zur See fahren? Wolfram Guntermann schüttelt den Kopf: „Das Thema Umwelt steht bei Hapag-Lloyd ganz oben auf der Agenda, und ich bin stolz, da mitmischen zu können“, freut er sich. Und wie fühlt es sich an, nach so einer erlebnisreichen Zeit auf der ganzen Welt in dem beschaulichen Hamburger Stadtteil Volksdorf zu wohnen? „Wunderbar! Wir haben zweimal die Woche einen großartigen Markt, die Schulen sind gut, die Natur ganz nah und ich gehe jeden Morgen mit unserem Hund joggen.“ In seinem Garten baut der begeisterte Hobbygärtner auch seinen eigenen „Brennstoff“ an: „Selbst gezogene Jalapeños, die gedeihen bei uns prächtig und erinnern mich immer an das erste ,Rührei Mexiko‘ das ich vor vielen Jahren an Bord gegessen habe. Mit Zwiebeln, Gewürzen und ganz viel Jalapenos – so scharf, dass die Atemwege ruckzuck frei sind!“
„Rührei Mexiko“ á la Guntermann
Mexikanisches Rührei gibt es in unzähligen Variationen. Hier kommt Wolfram Guntermanns Rezept: Feingeschnittene Zwiebeln in Öl braten, gehackte Jalapenos und/oder Chilis dazu, verquirlte Eier darüber geben, stocken lassen und nach Bedarf wenden. Mit geriebenem Käse bestreuen – yummy!