Nahe am Flughafen aufgewachsen, träumte Jholius Corotan lange davon, mit dem Flugzeug um die Welt zu fliegen – bis er seine Leidenschaft fürs Kochen entdeckte
Jholius Corotan ist kein Mann der großen Worte. Bescheiden bittet er in die Kombüse der „Santos Express“, wendet am Herd noch schnell das Hackfleisch fürs abendliche Chili con Carne im großen Topf, fügt Paprika- und Chilipulver hinzu, schmeckt ab – passt. „Die meisten Seeleute essen gern Fleisch in allen Variationen“, erzählt der 36-jährige Filipino. Gestern gab es Spaghetti Bolognese, wobei Jholius Corotan tagsüber noch alle Hände voll mit dem Proviant zu tun hatte. Gemüse und Obst, Kühlprodukte, Tiefgefrorenes – alles, was er in den nächsten Wochen für die Überfahrt nach Südamerika zum Kochen braucht, musste in den Lager- und Kühlräumen des 11.519-TEU-Containerschiffs verstaut werden. Die Waren sind genau kalkuliert, Frisches und Fehlendes wird nach Bedarf in den Folgehäfen zugeladen. „Wenn ich an Bord komme, erstelle ich eine Warenliste, die direkt an den Kapitän geht, er sendet diese dann an die Cateringfirma. Und ich richte mir währenddessen die Küche erst mal so her, wie ich am besten arbeiten kann“, erzählt der Küchenchef, jeder Koch habe schließlich seine eigene Ordnung.
Jholius Corotan, geboren in Davao City, einer der größten Städte der Philippinen, kocht, backt und brutzelt seit 2015 auf den Schiffen von Hapag-Lloyd. Auf der „Santos Express“ verköstigt er aktuell 34 Personen in versetzten Zeitfenstern. Frühstück, Lunch und Dinner mit allem Drum und Dran, fast immer zwei Hauptgerichte, jeweils für den europäischen und den asiatischen Gaumen – eine logistische Meisterleistung, zumal er quasi allein in der Küche steht. „Du musst einen klaren Plan haben, wann was zu tun ist – gutes Zeitmanagement ist alles“, erklärt Corotan, der seinem Kindheitstraum vom Fliegen nicht hinter hertrauert: „Jetzt bin ich Pilot in der Kombüse. Und ich habe einen Steward, der sich um Beilagen und Nachspeisen kümmert, das ist prima“, findet er.
So routiniert Corotan heute in der Kombüse hantiert, erinnert er sich noch gut an seine Anfänge an Bord. „In Davao City arbeitete ich nach meinem Studium zum Bachelor of Science in Hotel & Restaurant Management erst in einem asiatischen Restaurant und dann im Grand Regal Hotel, bevor ich mich auf eine Stelle als Steward bei Marlow Navigation, einer großen Recruiting Agentur, bewarb und auf der ,Maersk Nagoy‘ anheuerte. Ich war vorher noch nie auf einem Schiff dieser Größe und neugierig, außerdem war die Bezahlung besser als an Land. Allerdings hatte ich nur einen halben Tag Einarbeitungszeit – Tische ein- und abdecken, putzen, servieren, ich musste immer wieder fragen, wie alles abläuft und worin meine Aufgaben bestehen. Als Steward bist du vom Kaffeekochen bis zum Betten machen für alles zuständig – vieles war Learning by Doing, den Rest brachten mir der Koch und die Seeleute bei. Mit der Zeit wurde ich sicherer und durfte endlich auch mal kochen.“
Sein Talent fürs Kulinarische fiel auf: Der Kapitän der „Maersk Nagoya“, ein Ukrainer, ermutigte den damals 26-Jährigen, sich zum Koch weiterbilden zu lassen. „Ich habe dann eine sechsmonatige Ausbildung an der ,Culinary Marine School‘ in Manila absolviert, um die europäische Küche kennenzulernen“, erzählt Corotan. In der Hauptstadt der Philippinen, gute 10.000 Kilometer Luftlinie entfernt von Deutschland, lernte er Rouladen, Sauerbraten und Gulasch zuzubereiten. „Das war wirklich fremd für mich, denn der Geschmack unterscheidet sich sehr von der asiatischen Küche. Glücklicherweise unterrichtete uns ein deutscher Koch, der nicht nur die Rezepte genau erklärte, sondern uns auch ein Gefühl dafür gab, wie es schmecken muss.“
Heute kennt Corotan die meisten Rezepte auswendig, „nur manchmal schaue ich ins Kochbuch oder den dicken Ordner.“ Letzterer heißt schlicht und einfach „Juttas Recipes“ und beinhaltet auf mehr als 600 Seiten Rezepte von A bis Z. Die hat Jutta Diekamp, ehemalige Stewardess und Seebetriebsratsmitglied bei Hapag-Lloyd, in unzähligen Stunden gesammelt, für gut befunden und abgelegt. In einem kurzen Telefonat berichtet die Hamburgerin, wie es dazu kam: „Ich habe Mitte der 1990er-Jahre auf See selbst erlebt, wie sich die philippinischen Köche schwertaten mit dem deutschen Geschmack. Das war der Auslöser dafür, in meiner Freizeit Rezepte zu sammeln. Ich liebe Koch bücher und -magazine, wollte einfach ein paar Anregungen geben, damit Abwechslung in den Speiseplan der Schiffe kommt.“ Hapag-Lloyd schickte Jutta Diekamp sogar einmal nach Manila, um in der dortigen Kochschule für ein bisschen Schwung zu sorgen. Auf der „Santos Express“ liegt ihr Ordner in der Küchenschublade gleich neben dem Kochbuchklassiker schlechthin: „Dr. Oetker German Cooking Today“.
Acht Monate dauert der reguläre Einsatz eines Kochs bei Hapag-Lloyd. Und Corotan macht keinen Hehl daraus, dass das nicht immer leicht ist: „Natürlich ist das eine lange Zeit. Meine Eltern haben oft Angst um mich, weil sie im Internet oder auf den Social-Media- Kanälen von Unfällen und Ähnlichem lesen, aber das ist nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit. Hapag-Lloyd gehört zu den sichersten Reedereien der Welt, ich habe noch nichts Gefährliches hier erlebt.“ Stattdessen berichtet der Koch lieber von Ausflügen, beispielsweise vom Wochenmarkt im chilenischen Valparaíso: „Die Gerüche, überhaupt das ganze Angebot der Waren, das inspiriert jeden Koch!“ Und er kann durch seinen Beruf seine Eltern finanziell unterstützen: „Das war, besonders als bei uns wegen der Pandemie alles runtergefahren wurde, sehr hilfreich.“
Zu Hause in Davao City besitzt Corotan ein Häuschen mit kleinem Garten, in dem er Obst und Gemüse anpflanzt: „Papayas, Okraschoten, Auberginen und Mangostanfrüchte wachsen hier wie von selbst“, erzählt der Koch. Sein großer Traum: irgendwann eine Farm zu besitzen, vielleicht sogar ein eigenes Restaurant in Davao City. Aber bis dahin will er noch ein paar Jahre fahren – sehr gern für Hapag-Lloyd. „Es sind nicht nur die Bezahlung und das Arbeitsklima, auch das Angebot der Nahrungsmittel ist hier unschlagbar. Wo ich auf anderen Schiffen beispielsweise höchstens Gouda und Edamer anbieten konnte, haben wir hier eine unglaubliche Vielfalt an Käsesorten.“
Corotan weiß, wie wichtig gute und abwechslungsreiche Mahlzeiten an Bord sind. „Die Arbeit ist anstrengend, und die lange Zeit auf See ist mitunter nicht immer einfach. Gutes Essen ist genau das Richtige gegen Stress!“ Gefragt nach seinen Lieblingsspeisen, kann sich der versierte Koch kaum entscheiden: „,Hummer Thermidor‘, eine französische Spezialität, ist schon sehr schmackhaft, aber natürlich liebe ich besonders die philippinische Küche. Knusprigen marinierten Milchfisch, aber auch frittierten Schweinebauch, genannt ,Crispy pork kare-kare‘, kann ich sehr empfehlen. Und das philippinische Nationalgericht ,Adobo‘ sowieso. Das ist ein Eintopf mit Fleisch, fermentierten schwarzen Sojabohnen, viel Knoblauch und getrockneten Lilienblüten, der je nach Region ein bisschen anders zubereitet wird.“ Spricht’s, verabschiedet sich und eilt zurück an den Herd, damit das Essen für die Crew auch heute pünktlich auf den Tisch kommt.