Welchen Einfluss Kunden auf die Digitalisierung der Logistikbranche haben, wie sich der Logistik-Markt in den kommenden Jahren entwickeln könnte und welche Rolle Amazon dabei spielen wird, erzählt Dr. Fabian Heilemann von Earlybird Venture Capital im Interview.
Sie sind erfolgreicher Seriengründer, Chairman der digitalen Spedition FreightHub und Partner beim Risikokapitalinvestor Earlybird, mit dem Sie sich auf europäische Technologieinnovatoren konzentrieren. Seit mehr als drei Jahren investieren Sie gezielt auch in die Logistikbranche – warum?
Unser Enthusiasmus für die Bereiche Logistik und Supply-Chain-Technologie ist 2015 entstanden: Mein Bruder Ferry und ich hatten zuvor über sechs Monate den Logistikmarkt analysiert. Unser Fokus lag dabei unter anderem auf den digitalen Wertschöpfungsketten und dem Grad der Prozessdigitalisierung. Wir sind seinerzeit zu dem Schluss gekommen, dass die technischen Möglichkeiten, die es in der Logistikbranche gibt, nicht hinreichend genutzt werden. Technologien wie Cloud-Dienste, mobiles Internet, Internet der Dinge (IoT) und Sensor-Technologien sind in der Logistikbranche wenig bis gar nicht verbreitet. Diese Lücke bietet eine Menge Potential für junge Unternehmen. In meinen Augen ist die Logistikbranche einer der nächsten Megatrends.
Sie sprechen von einem Megatrend - zugleich sagen Sie in einigen Ihrer Beiträge, dass die Logistikbranche im Bereich Digitalisierung noch zurückliegt. Wie passt das zusammen?
Die heutigen Angebote in der Logistikbranche erfüllen nicht die Erwartungen eines Logistik-Managers der Generation Y. Ich sehe hier eine Kluft zwischen dem, was der Kunde heute in puncto Cloud-Interface, End-To-End-Service, Echtzeitkommunikation und Kostentransparenz aus seinem Alltag gewohnt ist, und dem, was die Logistikbranche im Durchschnitt bereit oder in der Lage ist zu bieten.
Hapag-Lloyd hat 2018 mit Quick Quotes im Bereich der Echtzeit-Preisfindung einen ersten Schritt gemacht. Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für die Logistikbranche?
Hapag-Lloyd bedient mit dem Angebot genau das, was Importeure und Spediteure heute erwarten. Die Preisfindung in Echtzeit ist aber nur der erste Schritt einer gesamten Prozesskette: Die Palette reicht von der Buchung, über Dokument- und Transport-Management mit Track & Trace bis hin zu Benachrichtigungen bei Verzögerungen, Echtzeit-Updates und Push-Nachrichten sowie Supply-Chain-Analysen, die auf Basis der Shipment-Daten Empfehlungen für Optimierungen anbieten.
Worin sehen Sie aktuell die größte Herausforderung?
Die Herausforderung besteht darin, wie schnell die bestehenden Player im Markt in den Bereichen Schifffahrt, Luftfracht, Straße und Spedition in die digitale Transformation investieren. Das alles muss mit dem Ziel geschehen, manuelle, langsame und fehlerbehaftete Legacy-Prozesse wie E-Mail, Telefon oder Fax hinter sich zu lassen und Cloud-basierte Datenverarbeitung in Echtzeit zu etablieren.
Sind die Startups angesichts ihrer Zukunftsorientierung deutlich im Vorteil?
Nicht ganz. Ein großer Nachteil von Startups ist die geringe Kapitalstärke und der fehlende, physische Zugang zu den Schiffen, Flugzeugen, Lagerhäusern oder Containern. Für die Startups wird es entscheidend sein, die erforderlichen Vertragsbeziehungen und Netzwerke mit bestehenden Carriern aufzubauen. Mittels modernster Technik, wie beispielweise Geofencing und Echtzeit-Schiffsverfolgung, lassen sich die benötigten Daten generieren, welche sie dann in ihren Anwendungen an die Kunden ausspielen.
Wie wird sich der Logistik-Markt in den kommenden Jahren entwickeln?
Zuerst einmal: Erste Ergebnisse werden sich frühestens in fünf bis sieben Jahren abzeichnen. Die Entwicklung wird dabei weniger den Transport betreffen, also die Kerndomäne von Hapag-Lloyd und anderen Marktteilnehmern. Dieser Bereich ist angesichts des hohen Anlagevermögens schwer zugänglich für Startups, die durch Wagniskapital finanziert sind. Meine Hypothese ist, dass sich ein Dualismus im Buchungs- und Befrachtungsgeschäft entwickeln wird, der aus einigen erfolgreich digital transformierten, etablierten Champions und zwei bis drei Startups bestehen wird.
Welchen Einfluss wird der Kunde auf die Entwicklung haben?
Einen großen – denn Kunden entscheiden am Ende. Das haben wir auch schon in anderen Industrien festgestellt, wo immer wieder eine klippenartige Entwicklung zu beobachten war.
Auch Branchenneulinge wie Amazon versuchen immer mehr Kontrolle über die gesamte Logistikkette zu bekommen. Nach Gründung der Frachtfluggesellschaft „Amazon Air“ und eigenen Lagerzentren investiert der Versandhändler jetzt auch in die Frachtschifffahrt. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?
Amazon hat sich seit den 90er Jahren von einem klassischen Onlinehändler für Bücher zu einer Plattform für Waren jeder Art entwickelt. Das gelang durch die Öffnung ihres starken Shops für externe Anbieter. Die horizontale Produktexpansion ist heute weitestgehend ausgeschöpft und es gibt nur noch wenige Nischen, die Amazon nicht bedient. Letztendlich ist Amazons Vorstoß in die Logistik vor allem eine tiefere Integration des Onlinehandels in die gesamte Wertschöpfungskette. So beginnt Amazon nicht erst im eigenen Warenlager die Kontrolle über die Supply Chain zu übernehmen, sondern schon bei den Fabriken in China.
Wird Amazon also zu einer Konkurrenz für große Reedereien werden?
Ich glaube damit ist in den nächsten drei bis fünf Jahren nicht zu rechnen. Amazon ist nach meiner Wahrnehmung noch nicht bereit, in eigene Schiffe zu investieren. Sie chartern aber zum Beispiel bereits heute eine Boeing 747, um in der E-Commerce-Hochsaison noch mehr Kontrolle über ihr Geschäft zu gewinnen. Diese vertikale Integration ist auch aus kommunikativer Sicht clever – so kann die strategische Erfolgsgeschichte des Unternehmens für den Kapitalmarkt schlüssig fortgeschrieben werden. Es ist aber auch ein Zeichen dafür, dass der Paradigmenwechsel im Luftfrachtbereich zunächst schneller gehen wird. Im Paketlogistikbereich, wie zum Beispiel bei DHL, würde ich mich warm anziehen. Amazon ist angesichts seiner Kapitalkraft in jedem Fall sehr ernst zu nehmen.
Dr. Fabian Heilemann ist Managing Partner bei Earlybird Venture Capital mit einem Track-Record von mehr als 35 Early-Stage-Investments (Seed/Series A) mit Schwerpunkt auf SaaS, Plattformen sowie Logistik und Mobilität. Er ist im Beirat von Everoad, Allthings, Lexoo, Kreatize sowie FreightHub und ist Investor unter anderem bei McMakler, DiviMove, Eyeota und Test.io.
Heilemann gründete sein erstes Unternehmen als Teenager im Jahr 2001 und war seitdem Mitgründer von sieben weiteren, darunter die Couponing-Plattform DailyDeal, welche er und sein Bruder 2011 für mehr als 100 Mio. US-Dollar an Google verkauften.
Er absolvierte seinen Bachelor of Law an der Bucerius Law School Hamburg und promovierte zum Dr. jur. in Kapitalgesellschaftsrecht an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Außerdem war er Gaststudent an der Santa Clara und der Stanford University.
Earlybird ist ein Venture-Capital-Investor mit Fokus auf Technologieunternehmen in Europa. Der 1997 gegründete Kapitalgeber konzentriert sich auf Investments in verschiedenen Wachstumsphasen der Unternehmensentwicklung und bietet seinen Portfoliounternehmen nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch strategische und operative Unterstützung sowie den Zugang zu einem internationalen Netzwerk und zum Kapitalmarkt.
Earlybird verwaltet Fonds in den Bereichen digitale Technologien in Ost- und Westeuropa, sowie in Health Technologies. Mit einem verwalteten Kapital von über 1 Mrd. Euro, sieben Börsengängen sowie 24 Trade Sales zählt Earlybird zu den erfahrensten und erfolgreichsten europäischen Wagniskapitalgebern.