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"Wasser musst du haben!" Kapitän Henning Refardt im Porträt

Kräne, Boote, die MS „Bleichen“: der alte Hansahafen am Hafenmuseum. Das Foto wird ein echtes Kapitänsbild! Die Uniform sitzt, auch nach 19 Jahren an Land. „Zum Glück,“ sagt Henning Refardt, „wird sie noch ab und an getragen". Das nächste Mal im Herbst – zum 100. Geburtstag des Hapag-Lloyd Kapitänsbundes.“ Fast 50 Jahre war er auf den Meeren unterwegs, die meiste Zeit davon in Diensten der Hapag-Lloyd. Seit 2000 leitet Kapitän Henning Refardt den „Kapitänsbund Hapag-Lloyd“.

Zum Gespräch fahren wir zu ihm. Hamburg-Niendorf. Die Köhlbrandbrücke ist dicht, Laster mit Containern stehen Schlange an den Terminals. Wir sind sofort beim Thema. Henning Refardt ist ein Container-Experte. Er hat die damalige Hamburg-Express-Klasse gefahren, seinerzeit die größten Containerschiffe der Welt. Er hat ihre Beladung koordiniert, damals, als Stabilitätsberechnungen noch ohne Computer gemacht wurden.

Geboren in der Lüneburger Heide, auf dem Hof der Stammfamilie, hätte eigentlich die Landwirtschaft seine Zukunft werden können. Das lag nahe. Als Refardts Vater beruflich in den Norden versetzt wurde, nach Rendsburg, liegt plötzlich der Nord-Ostsee-Kanal noch näher. Die Küstenmotorschiffe am Obereiderhafen haben es dem 15-Jährigen angetan, und als ein Schiffsmann den am Ufer herumstaunenden Jungen bittet, sich an Bord alles anzuschauen, da hatte das Wasser gewonnen. Seinen Eltern sagt er, „ich glaube, ich lass das jetzt mit dem Schulwesen.“ Sie sind einverstanden.

Mit 16 ist er weg aus Rendsburg. Schiffsjunge. Seine neue Heimat heißt „Karin“. Die „Karin“ aus Kiel, ein Dreimast-Schoner, pendelt zwischen Finnland und Dänemark in der Holzfahrt, und Refardts erste Heuer dauert 8 Monate. Klingt viel für einen, der das erste Mal von zuhause weg ist. Der Segel setzen, Deck schrubben, Wäsche waschen, zweimal täglich kochen und den Ofen in Kapitänskajüte und Logis heizen muss. Und zwar ohne den Kapitän einzunebeln. Es kam wohl mal vor. Für einen Schiffsjungen ist Ärger immer in Reichweite. Refardt hält durch, er sieht es praktisch: „More Days, more Dollars!“, sagt er heute und lacht.

Wenn Henning Refardt die Stationen seiner Laufbahn aufzählt, versteht man, was „von der Pike auf lernen“ bedeutet. Vom Schiffsjungen zum Kapitän, so ist das damals. „Man war Minimum 10 Monate Schiffsjunge, danach Jungmann, im dritten Jahr Leichtmatrose, und dann konnte man die Matrosenprüfung machen. Leichtmatrose OA (Offiziers Assistent) auf dem Turbinenschiff „Dortmund“ nach Indonesien (jetzt schon für die Hamburg-Amerika-Linie), Passagierschiff „Italia“, Offiziersassistent auf der „Düsseldorf“, Besuch der Seefahrtsschule Hamburg, Examen zum Seesteuermann A5II und schließlich im Oktober 61 Examen zum „Kapitäns Patent A6“.

Der junge Mann aus Rendsburg kommt herum auf der Welt: Indonesien, Mexiko, die Karibik. Japan, Ostindien. Als Ladungsoffizier auf der „Dresden“ holt er Kopra (Kokosschnipsel) von den Philippinen, Spielwaren aus Hongkong, Kartoffeln aus Ägypten. Dann als Chief Mate auf dem Nordatlantik: der Sankt-Lorenz-Strom, die Großen Seen mit ihren vielen Schleusen und weitere Jahre zur Westküste Nordamerikas und Indonesien. 1968 - nun als Kapitän – wieder in die Great Lakes. Nach Chicago rein ohne Bugstrahler, Lotse und Schlepper. Anlegen nur mit einer Schraube. „Und den Anker 1.Schäkel zu Wasser,“ ergänzt er verschmitzt. „Das war für uns junge Kerle eine schöne Herausforderung. Vor allem musste man stets den Wind beachten, damit man kein anderes Schiff und Kai rammt.“ Refardt erzählt davon, als sei es eine Fahrt mit der U-Bahn durch die Hamburger Innenstadt. Er ist die Strecke oft gefahren. Die Großen Seen, natürlich. Ein bisschen schwärmt Refardt nun doch. Die Schwalbe fliegt über den Erie-See, und Hamburg-Niendorf liegt jetzt am Lake Michigan.
1969 übernimmt der Junge aus Rendsburg das gleichnamige Frachtschiff. Ein bewegender Moment, inklusive Empfang beim Bürgermeister, einem offiziellen Besuch der Stadt-Offiziellen in Hamburg und Berichten in der Presse: „Eine kleine Portion Ruhm in der alten Heimatstadt, das war schon eine große Sache.“

Anfang der 70er Jahre geht Refardt – jetzt Kapitän der 1970 durch die Fusion der HAPAG mit dem Norddeutschen Lloyd entstandenen Hapag-Lloyd – in die Containerfahrt auf dem Nordatlantik. Sogar seine Frau ist mal mit dabei. „Viel Zeit an Land hatte man ja nicht“, sagt Refardt, „unsere Verlobung fand statt, als mein Schiff wegen eines Brandschadens drei Wochen in Hamburg im Dock lag. Glück durch Unglück, könnte man sagen.“ Familiäre Angelegenheiten werden mit den damals gängigen Mitteln der Telekommunikation geregelt. Der Hauskauf, zum Beispiel: „Ich war in Indonesien, als der Funker kam und sagte, er habe ein Telegramm für mich, in dem nur eine Adresse stand und die Frage „Ja oder Nein?“. Dann habe ich zurück telegrafiert: „Objekt noch unbekannt, aber optimistisch zugreifen.“ Mit diesem Text geht seine Frau zum Notar und kauft das Haus. „Telefonieren kostete ja ein Heidengeld, und man musste 8 Stunden warten unter Umständen. Meistens schrieb man Briefe. Das war ein viel gehörter Satz an Bord: ich muss noch schreiben. Man wollte ja Post zurück bekommen, im nächsten Hafen. Also rechnete man sich das aus. Nach Jakarta zum Beispiel brauchte ein Brief 14 Tage.”

Seine Schiffe werden größer: als Kapitän der Elbe-Express-Klasse fährt Refardt Container im Liniendienst nach New York und Montreal. Der Containerverkehr boomt, und 1972 wird Refardt gefragt, ob er das nicht an Land koordinieren könnte: „Fahrpläne herstellen, Staupläne machen und die Stabilität errechnen, das machten wir damals noch per Hand. Ich habe Spaß dran gehabt, obwohl das wahrlich kein ruhiges Leben war. Meine Frau schimpft noch heute über diese Zeit. Nicht selten hat nachts der Disponent angerufen, weil Container fehlten, er aber den Laderaum zumachen musste. Da sitzt du dann auf der Bettkante, holst den Plan aus der Tasche und überlegst.”

1974 zieht es ihn wieder aufs Wasser. Auf der „Rickmers-Linie“, einer Tochtergesellschaft der Hapag-Lloyd, fährt Refardt nach China. Und erlebt horrende Liegezeiten: „Die hatten nicht genug Lastwagen, sie fuhren mit Ochsenkarren und Pferdegespannen ab. Wir haben pausenlos LKWs nach China gebracht, aber es reichte nicht. Deshalb musste man draußen circa 4 Wochen warten. Im Hafen dauerte es weitere 3 Wochen, bis das Schiff ent- und wieder beladen war.“ So kommt Refardt zu einem seiner großen Land-Abenteuer – einer Busfahrt nach Peking und zur Chinesischen Mauer. „Man hatte uns gewarnt, dass der Bus nicht geheizt sein wird, bis auf ein kleines Rohr am Armaturenbrett, wo die Motorwärme rausgepustet wird. Es war Januar, wir hatten Frost und sind also früh um Sechs in den Bus rein, mit warmen Decken. Wir mussten die Fenster anhauchen und ein Loch freikratzen, um rausgucken zu können. Aber wir haben alles besichtigt: den Sommerpalast, die Mauer, die verbotene Stadt, den Platz des himmlischen Friedens. Unvergessen, ein Erlebnis.“

1976 wird Tankerpersonal gesucht, und Henning Refardt hebt die Hand. Lernt bei Shell noch einmal neu: Tankerkapitän. „Da kriegte ich erst einmal die „Bremen-Express“ zur Gewöhnung an Größe nach Ostasien. Denn das wirklich „große Schiff“! Ein Erlebnis! Fast 400 Meter lang, 65 Meter breit und beladen 21 Meter tief.“ Und wieder lernt Refardt ein ganz besonderes Manöver: „weil man, aus dem Arabischen Golf kommend, zu viel Tiefgang für den Ärmelkanal hat. Deshalb pumpt man ungefähr 80-90000 Tonnen Erdöl auf einen anderen Tanker. Der Großtanker und der kleine Tanker treffen sich in der Limebay, südliches England, bei Plymouth. Damit kommt das Großschiff auf 19 Meter Tiefgang, und damit klappt es dann.“

Sein heftigstes Seewetter-Erlebnis hat er mit der „Hongkong-Express“: „ein Sturm mit Orkan-Böen in der Nähe von Sizilien, da wurde das Schiff bis zu 30 Grad gekrängt. Du fährst relativ langsam und siehst das nächste Wellental kommen und weißt, da geht es gleich rein. Das Schiff legt sich dabei auf die Seite, 4-5 Mal hin und her. Das ist der Moment, wo du am liebsten woanders wärst, aber da ist nicht viel dran zu drehen. Die Schäden im Schiff waren groß: Porzellan, Maschinenersatzteile, mit Ornamenten geschliffene Glastüren. Zum Glück keine Menschen und keine Ladung.”

Hennig Refardt war scheinbar immer auf Achse. Erstaunlich, was in ein Berufsleben hineinpasst. „Ship Operation“ in San Francisco, die neue HL-Transpacific Linie und 1983 die nächste Weltreise: „Es wurde eine Gruppe gebildet von 3 Kapitänen, die die Hafenkosten untersuchten. 7 Wochen lang reiste ich von Hafen zu Hafen. Jakarta, Hongkong, Singapur, Tokio, um den Port- und Terminalmanagern deren zu hohe Hafen-, Schlepper-, Lotsen- und Umschlagkosten vorzurechnen.“
Danach wieder Containerfahrt: nach Fernost, in die Karibik, Mexiko, New York, „mit den wunderbaren „Arbeitspferden“ der „Stuttgart-Klasse“. Nicht ganz so groß, so 2500 TEU, rund 240 Meter lang. Sehr stabil, von der Wohnqualität sehr angenehm. Die wurden in Lübeck gebaut, bei den Flender-Werken. Hervorragende Schiffe.“ Sollte mal jemand bei der TV-Sendung „Wer wird Millionär“ einen Joker für Schiffe brauchen, Hennig Refardt ist zu empfehlen.

Zu guter Letzt reicht Refardt, als Vertreter der Leitenden Angestellten, seine Kandidatur zum Aufsichtsrat der Hapag-Lloyd AG ein und wird gewählt. Von 1997 bis 2000 gehört er dem Aufsichtsrat an. Dann ist, mit 64 und für ihn natürlich viel zu früh, Schluss mit der Seefahrt. Ganz lassen kann er es nicht. Einmal im Jahr segelt er mit dem „Deutschen Jugendwerk zur See“ auf der Ostsee, um junge Leute für die Seefahrt begeistern. Mit einem Schoner, fast wie zu Beginn seiner Laufbahn. „Das hört jetzt aber alles auf, weil die alten Leute die Beine nicht mehr über die Reling kriegen.” Sagt es, schmunzelt und fügt trocken an, „die Seefahrt kann man nicht lassen. Wasser musst du haben!“