Livornos Hafen ist für Containerschiffe eine Herausforderung: Zwei schmale Kurven und kompaktes Terrain erfordern die exakte Abstimmung von Lotsen, Schleppern und der Schiffscrew. „LOOKOUT“ hat die „Chicago Express“ bei der Ausfahrt begleitet
Er ist sehr eng, und zum Container-Terminal kommt man nur über zwei scharfe, schmale Kurven: Livornos Hafen ist der anspruchsvollste entlang unserer Atlantikroute, dem „Atlantic Loop 6“ (AL6). Die „Chicago Express“ ist 335 Meter lang und 42 Meter breit. „Ein Containerschiff ist vieles, nur nicht sehr beweglich. Lotsen und Schlepper helfen uns, sicher in einem Hafen zu manövrieren“, erklärt Claas Heinrich Hurdelbrink, Kapitän der „Chicago Express“.
Das trifft ganz besonders auf Italiens drittgrößten Seehafen an der toskanischen Mittelmeerküste zu. Für die Hafenein- und -ausfahrt gelten strenge Regeln. Erstens: Die Lotsen begleiten Schiffe nur bei Tageslicht. Zweitens: Lotsen kommen in Livorno immer zu zweit an Bord, um beide Seiten des Schiffs beim Manövrieren gleichzeitig überwachen zu können. Und drittens: Mindestens zwei Schlepper unterstützen das Manöver. Sie drehen und ziehen das Schiff sicher um die schmalen Kurven. „Hier in Livorno, wie im gesamten Mittelmeer, arbeiten wir mit sehr guten Lotsen zusammen. Sie kennen ihren Hafen und ihr Revier ganz genau. Sie wissen um jede Kurve und alle Strömungen“, sagt Kapitän Hurdelbrink. Marino Binacotti ist einer von ihnen. Seit mehr als 20 Jahren manövriert er Fähren, Container- und Kreuzfahrtschiffe durch seinen Hafen – bei fast jeder Wetterlage. Für ihn gibt es keinen schöneren Liegeplatz: „Unseren Hafen gibt es seit dem 15. Jahrhundert. Das Wahrzeichen, der mit weißem Marmor verkleidete Wachturm Torre del Marzocco, wurde von den Medici errichtet und steht hier jetzt mitten im Industriehafen an der engsten Stelle. Damals verschloss eine eiserne Kette zwischen Turm und anderer Uferseite den Hafen, und auf unerwünschte Schiffe wurde vom Wachturm aus mit Steinen geworfen. Das passiert der ‚Chicago Express‘ heute nicht mehr“, lacht Binacotti.
Er und sein Lotsenkollege kümmern sich heute zusammen mit der Besatzung um das Auslaufen der „Chicago Express“. „Das Auslaufen ist in der Regel unkomplizierter als das Einlaufen“, meint Kapitän Hurdelbrink. „Das Schiff liegt bereits an seinem Platz und muss nur noch losfahren.“ Trotzdem gibt es eine feste Choreografie, die für jede Hafenausfahrt gilt. Eine Stunde vor dem Auslaufen kontaktiert der Wachhabende Offizier Hafen und Lotsen via Funk, dass das Schiff in circa einer Stunde bereit ist abzulegen. Gleichzeitig gibt der Kapitän eine Anweisung an die Besatzung: „Preparation for departure“. Für die Ingenieure heißt das, die Maschine hochzufahren, die ungefähr eine Stunde braucht, um startklar zu sein. Auf der Brücke geht das Team die Checkliste zur Vorbereitung auf das Auslaufen durch.
20 Minuten vor Abfahrt ist so gut wie jedes Besatzungsmitglied im Einsatz. „Standby forward and aft station“, kommt die Durchsage vom Kapitän für die Decksbesatzung. Das heißt, die zuständige Crew geht zu den Stationen achtern und vorn, um die Leinen einzuholen und das Ablegen vorzubereiten. Sobald die Ladungsoperationen beendet und Maschine und Brücke bereit sind für das Auslaufen, werden die Lotsen gerufen. Diese melden sich in der Regel mit den Fragen: „Cargo operations complete? All cranes boomed up and vessel ready to sail? Pilot ladder ready on the sea side?“ Der Lotse fragt, ob die Kräne oben sind, da das sonst zu Verzögerungen führen könnte. Wenn der Kapitän antwortet: „Cargo operation completed and ready for departure“, kann es losgehen.
Schon kommen die Lotsen mit ihrem Boot in Sicht. Sie steigen dann über die Lotsenleiter und durch die Lotsenpforte ins Schiff. Der Einstieg über die Wasserseite ist der normale Weg im Mittelmeer. In den USA, wo den Lotsen nicht immer ein Lotsenboot zur Verfügung steht, kommen diese zur Abfahrt oft auch über die Gangway an Bord. Wie hier in Livorno holt der Chief Mate die Lotsen von der Lotsenpforte ab und begleitet sie direkt bis zur Brücke. Auf dem Ausbildungsschiff „Chicago Express“ übernehmen auch mal die Azubis diesen Job, der einmal quer durchs Schiff und über viele Stufen führt.
Auf der Brücke besprechen Lotsen und Kapitän das Manöver und klären Fragen wie: „Wie verlassen wir die Pier? Wie fahren wir die Engstellen? Wie verlassen wir den Hafen?“. „Oft heißt es dann natürlich: ‚Waren Sie schon mal hier? Kennen Sie den Ablauf?‘. Das heißt dann, dass man die Sache zielgerichteter bespricht“, erklärt Kapitän Hurdelbrink, der Livorno schon viele Male angelaufen ist. Wichtig: Die Lotsen übernehmen zwar das Manöver im Hafen und halten Kontakt zu den Schleppern, zum Terminal und zur Port Control, aber der Kapitän bleibt verantwortlich. „Ich muss wissen, was der Lotse macht und entscheidet. Auch wenn der Lotse in seiner Muttersprache spricht, muss er alle Informationen mit dem Kapitän teilen. Das geht hier immer sehr gut.“ Nach ungefähr einer Stunde Manöver ist das Schiff draußen. Gleich hinter der Mole wartet schon das Lotsenboot, um Marino Binacotti und seinen Kollegen abzuholen. Die Lotsen werden zur Lotsenpforte gebracht und verabschiedet: „Bis zum nächsten Mal“! Dann nimmt das Schiff Kurs auf Genua.