Kowitz_2023.jpg

„Ich möchte Kapitän sein – das und nichts anderes“ – Interview mit Kapitän Michael Kowitz

Michael Kowitz, Kapitän bei Hapag-Lloyd, hat bei der Taufe der „Berlin Express“ am Burchardkai (Athabaskakai) im Hamburger Hafen zusammen mit Kapitän Carsten Metzner eine wichtige Rolle eingenommen. Gemeinsam mit seinem Team verantwortete er die finale Bauaufsicht für unser erstes Schiff der neuen Hamburg Express Klasse auf der Insel Geoje in Südkorea, stellte das neue Schiff in den Dienst und hielt eine kleine Rede an Bord. Die mit einem Dual-Fuel-Antrieb ausgestattete „Berlin Express“ ist eines der größten Containerschiffe weltweit. In unserem Interview spricht Michael Kowitz über die Taufe, warum er sich keinen anderen Beruf vorstellen kann und welche Herausforderungen der Landgang nach Monaten auf See für ihn mit sich bringt.

Hallo Kapitän Kowitz, die „Berlin Express“ wurde am 2. Oktober getauft. Was waren für Sie die größten Herausforderungen der letzten Monate?

Die erste Fahrt mit einem Neubau ist jedes Mal eine fordernde Aufgabe. Unsere Reise ging diesmal nach Singapur, in dessen Hafen die Ein- und -Ausfahrt sehr schwierig zu navigieren ist. Es gibt viel Schiffsverkehr, Felsen und eine gefährliche Unterströmung. Das fordert unglaublich viel Konzentration. Aber genau das macht meinen Job aus. Und es ist jedes Mal ein gutes Gefühl, wenn es dann geschafft ist. Letztendlich kommt es darauf an, das neue Schiff, meine Besatzung und unsere Ladung sicher bis zum nächsten Hafen zu bringen.

Eine kleine persönliche Herausforderung war für mich auch die Vorbereitung des Begrüßungsworts, das ich an die Taufpatin Frau Büdenbender richte. Ich fragte mich zum Beispiel, wie ich sie ansprechen soll. Bei einer anderen Taufe wurde mir gesagt, ich solle die Taufpatin einfach duzen. Bei der Ehefrau des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier kommt mir das aber unangebracht vor. Über solche Dinge mache ich mir Gedanken, denn ich bin generell kein Mann vieler Worte.

Die „Berlin Express“ ist nicht Ihre erste Taufe. Gibt es ein Schiff, das für Sie als Kapitän eine besondere Bedeutung hat?


Ich habe schon viele Taufen miterlebt und insgesamt viereinhalb Schiffe beim „Werden“ begleitet – die „Brussels Express“ zähle ich nur halb dazu, da sie „lediglich“ umgebaut wurde. Jedes dieser Schiffe ist etwas Besonders. Ich bin auch sehr stolz darauf, jetzt mit meiner Crew die „Berlin Express“ auf den Weg gebracht zu haben.

Aber das Schiff, das mir wahrscheinlich am meisten ans Herz gewachsen ist, ist die „Kuala Lumpur Express“. Ich habe sie damals in der Werft übernommen und getauft. Für die Taufgesellschaft sollten mehrere Limousinen von Mercedes organisiert werden, was in Südkorea keine einfache Aufgabe war. Wir haben es aber geschafft, und ich habe das Ausbildungsschiff danach in den Dienst gestellt und bin fünf Jahre lang darauf gefahren. Ich fühlte mich an Bord fast wie zuhause.

War Kapitän schon immer Ihr Traumberuf?


Heute kann ich ganz deutlich sagen: Ich möchte Kapitän sein – das und nichts anderes. Früher hätte ich mich gar nicht getraut, das so deutlich auszusprechen. Mittlerweile ist es für mich selbstverständlich. Dass ich generell zur See fahren möchte, war mir aber schon früh klar. Ich bin jemand, der gerne der Tradition folgt. Mein Großvater fuhr schon zur See, dann mein Vater, und jetzt ich. So bin ich 1992 mit meinem fertigen Studienzeugnis in der Hand in den Ballindamm marschiert und habe mich bei Hapag-Lloyd persönlich vorgestellt. Zwei Wochen später fuhr ich dann auf der „Hannover Express“ zur See.

Ein klassischer Bürojob ist einfach nichts für mich. Das merke ich zum Beispiel, wenn ich zwischendurch mal die Werftaufsicht übernehme, wie hier bei der „Berlin Express“. Da habe ich einen geregelten Arbeitstag von 9 bis 17 Uhr. Länger als ein paar Wochen halte ich das aber nicht aus. Während des Baus gab es diesmal allerdings ein wenig Abwechslung durch den Besuch des deutschen Fernsehteams vom NDR. Die Mitarbeitenden sahen zufällig bei einem Dreh vor Ort unsere Schiffe in der Werft liegen und holten sich eine Drehgenehmigung, um die „Berlin Express“ einen Tag lang zu filmen. Ich musste sechsmal mit dem Fahrrad über die Werft fahren, damit sie unterschiedliche Perspektiven einfangen konnten.

Wie ist es für Sie, nach vielen Monaten auf See wieder an Land zu gehen?

Gar nicht so einfach. Zu meiner Frau sage ich zum Beispiel immer, sie solle nicht so rasen, wenn sie mich nach meiner Zeit auf See abholt. Wenn sie mit 40 km/h durch den Hafen fährt, kommt mir das rasend schnell vor – das sind schließlich 20 Knoten! Die Verkehrsschilder fliegen nur so vorbei. Daran und an das viele Grün muss ich mich jedes Mal wieder gewöhnen. Die Farbe Grün ist in der Seefahrt rar, deshalb kann ich mich an Land nicht daran sattsehen.

Schwierig ist auch der Gang in den Supermarkt. Die vielen Menschen bin ich einfach nicht gewohnt. Außerdem habe ich immer die komplexe Logistik im Kopf, die hinter jedem einzelnen Produkt steckt. Wenn da beispielsweise unzählige Menschen Weintrauben oder eine Avocado anfassen und wieder zurücklegen, stört mich das. Schließlich haben so viele Personen in der langen Lieferkette dafür gesorgt, dass sie die richtige Temperatur behalten und unversehrt im Supermarkt ankommen, wo sie dann frisch angeboten und von den Kundinnen und Kunden direkt angedrückt werden. Man muss sich erst mal klarmachen, wie viel Aufwand dahintersteckt und welche lange Reise dieses Obst hinter sich hat. Auch hier fängt nachhaltiges Denken an.

Wie geht Ihr Umfeld mit Ihrer Berufswahl um?

Es gibt Menschen um mich herum an Land, die wenig mit der Seefahrt anfangen können. Eigentlich gibt es nur drei Fragen, die in der Bekanntschaft oder Nachbarschaft regelmäßig bei Landgang gestellt werden: „Wie lange bleibst Du zuhause?“, „Hast Du Delfine gesehen?“, und „Seid ihr durch Piratengebiet gefahren?“. Als wir neu in der Nachbarschaft waren, haben sich die Anwohner sicherlich auch gewundert, was ich den ganzen Tag lang mache und ob ich einen anständigen Job habe, denn ich war ja wochenlang zuhause.

Meine Familie steht aber voll und ganz hinter mir. Ohne sie geht gar nichts. Da fließen auch mal die Tränen bei meiner Frau, wenn wir uns vor einem Seegang verabschieden. Meine beiden Söhne zieht es übrigens wie mich in die weite Welt, auch wenn sie sich ein anderes Element ausgesucht haben: Der eine wird Pilot und der andere studiert Luft- und Raumfahrttechnik.

Über Michael Kowitz

Michael Kowitz ist seit 18 Jahren als Kapitän für Hapag-Lloyd unterwegs. Er selbst bezeichnet sich als Botschafter und Bindeglied zwischen Land und See. Seine berufliche Laufbahn startete er 1988 bei der Deutschen See Reederei (DSR) in Rostock. Nach dem Mauerfall setzte er seine Seefahrtskarriere im Westen fort. Anschließend machte er eine Weiterbildung als Schiffsmechaniker, sammelte erste Erfahrungen auf See und stellte sich schließlich bei Hapag-Lloyd vor. Nach zwei Ostasien-Reisen entschied er sich dann für ein Studium in der Schiffsbetriebstechnik. Mit seinem Abschluss in der Hand nahm er eine Stelle als Schiffsbetriebsoffizier bei Hapag-Lloyd an. 2005 wurde er dann zum Kapitän befördert. 

Die Besatzung der Jungfernfahrt