Im Rahmen einer speziellen Forschungs- und Entwicklungsstudie untersuchen wir derzeit das Potenzial der Windenergie als mögliche Dekarbonisierungsmaßnahme für unsere künftige Flotte. Dazu sprechen Dr. Christoph Thiem, Director Strategic Asset Projects, und Martin Köpke, Manager Regulatory Affairs & Sustainability, über ihre Arbeit an einem Konzept zur Antriebsunterstützung von Containerschiffen mit Windenergie, die damit verbundenen Herausforderungen, die Vor- und Nachteile eines solchen Systems und die Möglichkeiten der Umsetzung.
Hallo Christoph, hallo Martin, ihr arbeitet beide an Innovationsthemen. Welche Bedeutung hat Forschung und Entwicklung für Hapag-Lloyd?
Christoph Thiem: Research and Development ist für Hapag-Lloyd nichts Neues. Das Unternehmen hat in den letzten Jahrzehnten schon viel in diesem Bereich gemacht – wir sind eine Reederei, die schon immer innovativ war. Der Innovationsdruck ist in den letzten Jahren stark gestiegen und damit auch die Anzahl der Mitarbeitenden, die sich damit beschäftigen. Es gibt auch immer mehr Möglichkeiten. Zum Beispiel im Bereich Treibstoffe. Dort war das Spektrum in den letzten Jahren eher eng – es ging mehr darum, den Treibstoff möglichst effizient zu verbrennen. Jetzt beschäftigen wir uns mit verschiedenen Treibstoffen und alternativen Technologien an Bord der Schiffe, wie zum Beispiel auch die Nutzung von Windenergie.
Martin Köpke: Wir haben als Industrie das Ziel, bis 2050 Net-Zero zu erreichen – bei Hapag-Lloyd haben wir uns vorgenommen, das bis 2045 zu schaffen. Momentan ist die Verfügbarkeit der Treibstoffe eine Herausforderung. Ohne Research & Development werden wir das nicht schaffen. Was uns in den nächsten Jahren antreiben wird, sind neue alternative Treibstoffe. Die sind noch nicht in der erforderlichen Menge verfügbar und werden zunächst auch noch sehr teuer sein. Deshalb sind Energieeffizienz und alternativen Technologien wie z.B die Nutzung von Wind, um den Treibstoffbedarf zu reduzieren, wichtig. Erfolge in diesem Bereich werden entscheidend sein, um unsere kurz- und mittelfristigen Ziele bis 2030 zu erreichen.
Vor der Motorisierung war der Wind jahrhundertelang der übliche Antrieb in der Schifffahrt. Wann hat Hapag-Lloyd dieses Konzept für sich wiederentdeckt?
Christoph Thiem: Hapag Lloyd beschäftigt sich bereits seit längerer Zeit mit dem Thema Windunterstützung und wie man diese technisch umsetzen könnte. Noch gibt es diese Technik nicht in zuverlässiger Marktreife. Daher war es uns wichtig, hier unsere Studien auszuweiten. Mit Boris Herrmann und seinem Team Malizia fanden wir einen geeigneten Partner und haben wir Anfang des Jahres eine Konzeptstudie für ein 4500 TEU Schiff mit einem modernen windunterstützem Antriebssystem gestartet.
Die erste Phase der Konzeptstudie haben wir im Mai abgeschlossen. Damit hatten wir ein erstes Bild, wie ein solches Schiff aussehen könnte. Im Sommer haben wir Phase zwei gestartet, die noch läuft. Darin untersuchen wir durch Computer-Simulationen, wie sich ein solches Schiff unter realistischen Wetterbedingungen in einem Fahrtgebiet verhalten würde, und wie viel Energie wir dort mit Unterstützung des Segelsystems einsparen könnten. Betrachtet wird hierbei auch das Potential wetterbasierter Routenoptimierung. Des Weiteren werden Sensitivitätsanalysen durchgeführt. Zum Beispiel lassen wir das Schiff in der Simulation sehr viel langsamer fahren und schauen, wie hoch dann die Einsparung ausfällt. Des Weiteren variieren wir unter anderem die Tiefgänge und schauen, wie sich das Schiff verhält, wenn es nicht voll beladen ist. Auch wird untersucht was passiert, wenn zum Beispiel ein Segel beschädigt ist bzw. ausfällt.
Wie sieht unser Konzept konkret aus?
Christoph Thiem: Unser Konzept ist ein potenzieller Neubau eines Schiffes mit einer Kapazität von 4.500 TEU. Der aktuelle Entwurf sieht acht Segel mit einer Segelfläche von insgesamt 3000 Quadratmetern vor. Die hinteren sechs Segel werden ausfahrbar sein, die vorderen zwei einklappbar. Dies ist sinnvoll, um im Hafen die Cargo Operations nicht zu behindern und das Segelsystem vor Beschädigungen zu schützen sowie Einsatzbeschränkungen durch Brücken u. ä. zu verhindern.
Das Containerschiff wird hauptsächlich von einem Motor angetrieben, das Segelsystem dient nur zur Unterstützung. Wie viel Unterstützung das Segelsystem leisten kann, hängt unter anderem von der Geschwindigkeit des Schiffes und den Windverhältnissen ab. Bei langsamer Fahrt von 8 bis 10 Knoten (15 bis 20 km/h) kann das Schiff bei entsprechenden Windverhältnissen auch nur durch das Segelsystem angetrieben werden. Hier haben wir aber noch nicht alle Aspekte erforscht. Im Moment arbeiten wir mit historischen Wetterdaten für den Conosur-Dienst, der um Südamerika herumführt.
Als Nächstes werden wir uns andere Schiffsrouten anschauen, um herauszufinden, inwiefern wir auf anderen Routen mehr Nutzen mit Hilfe eines solchen Segelsystems erzielen könnten.
Wie gut arbeitet die Branche bei diesem Thema zusammen? Verfolgt man ein gemeinsames Ziel oder herrscht eher Konkurrenzdenken?
Martin Köpke: NGOs wie das MMMCZCS in Kopenhagen, das Global Maritime Decarbonisation Center in Singapur oder der Global Maritime Forum bündeln die Expertise. Reeder, Zulieferer, Energieversorger, andere NGOs, aber auch Behörden arbeiten dort gemeinsam an konkreten Lösungen. Bei technischen Lösungen ist die Bereitschaft zum Austausch sehr hoch. Im MMMCZCS haben wir uns kürzlich mit Cargill zusammengesetzt. Die haben vor kurzem zwei Schiffe mit großen Segeln ausgestattet. Das sind zwar Bulkcarrier, die andere Segel verwenden als wir, weil sie mehr Platz an Deck haben. Trotzdem konnten wir uns über den Auswahlprozess austauschen. Alle großen und mittelgroßen Reedereien tragen auf die eine oder andere Weise dazu bei, Lösungen zu finden, die uns dem Ziel Net-Zero näherbringen.
Worauf konzentriert Ihr Euch beim Thema Nachhaltigkeit?
Martin Köpke: Im Vordergrund steht natürlich das Erreichen unserer Nachhaltigkeitsziele. Jede Tonne CO2 weniger ist gut. Aus unserer Sicht ist es wichtig, den Windantrieb zu entmystifizieren. Dazu müssen wir über die Kosteneinsparungen und die Machbarkeit der Technologie aufklären. Wie wirkt sich das auf den Betrieb aus? Braucht die Crew ein zusätzliches Training? Welche Vorschriften müssen erfüllt oder gar neu geschrieben werden? Unser Ziel ist es hier, das Bauchgefühl durch Fakten zu ersetzen.
Christoph Thiem: Wir wollen in Zukunft nicht mehr mit fossilen Treibstoffen fahren, sondern unter anderen mit solchen, die mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen wie Windenergie hergestellt werden. Dafür braucht es aber während der Kraftstoffproduktion und Nutzung an Bord eine Vielzahl an Anlagen und Verfahrensschritten. Die Folge ist, dass wir bis zum Propeller über 90% der eingesetzten Windenergie verlieren. Ein Segelsystem würde dafür sorgen, dass die Windenergie direkt genutzt und ein Teil dieses Treibstoffs eingespart wird.
Letztlich stellt sich die Frage der Wirtschaftlichkeit. Wenn die Anschaffungs- und Wartungskosten des Segelsystems höher sind als die Einsparungen, bringt es keinen Vorteil. Diese Kosten sind noch unklar, aber sicher nicht günstig. Eine weitere Herausforderung ist der Platzbedarf. Wenn wir so viele Container mit Segeln transportieren wollen, brauchen wir ein längeres Schiff. Um ein größeres Schiff zu bewegen, braucht man mehr Energie. Wir müssen auch an die Flexibilität der Routen denken. So wären Routen mit wenig Windaufkommen für Schiffe mit Segeln unattraktiv. Um mit einem solchen System effizient zu fahren, müssten dann auch die Fahrpläne und Ankunftszeiten flexibler werden, was für die Kunden ein Nachteil wäre.
Wie sehen die Perspektiven für das Forschungsprojekt aus?
Christoph Thiem: Wir planen die Konzeptstudie in den nächsten Monaten abzuschließen und damit eine Grundlage für weitere Schritte zu haben.
Martin Köpke: Ich werde oft von Branchenfremden gefragt, warum Containerschiffe nicht mit Segeln angetrieben werden. Unser Projekt ist sehr wichtig, um diesen Antrieb im Detail zu verstehen. Es wird auch oft angenommen, dass der Windantrieb kostenlose Energie ist. Das ist sie nicht, sondern kostet eine Menge Geld. Es gibt Gründe, warum es nicht viele Containerschiffe mit Windantrieb gibt. Mit dem Projekt schaffen wir jetzt Werte, die messbar sind. Im Moment gehen wir davon aus, dass Treibstoffe aus erneuerbaren Energien teuer werden, aber das kann in fünf Jahren anders aussehen und dann müssen wir neu bewerten, ob sich das Projekt lohnt.
Über Christoph Thiem
Dr. Christoph Thiem ist Schiffsmaschinenbauingenieur und seit April 2018 bei Hapag-Lloyd. Er startete als Projektingenieur im Unternehmen und betreute verschiedene Umrüstungsprojekte u. a. den Scrubber-Retrofit der Dortmund Klasse. Aktuell betreut er Innovationsprojekte bei Hapag-Lloyd, wie das Projekt Wind Assisted Propulsion. Seit 2021 ist er stellvertretender Leiter der Abteilung Strategic Asset Projects und wird ab Februar nächsten Jahres den Bereich Fleet Innovation leiten.
Über Martin Köpke
Martin Köpke ist Manager Sustainability bei Hapag-Lloyd und seit 10 Jahren im Unternehmen. Er startete im Fleet Support Center in der Abteilung Energy Efficiency, wo er sich unter anderem mit Performance Management zur Effizienzsteigerung beschäftigte. Derzeit ist er zu 80% an das Mærsk Mc-Kinney Møller Center for Zero Carbon Shipping ausgeliehen, wo er in der Energy Efficiency Abteilung arbeitet. Vor Hapag-Lloyd war er beim Germanischen Lloyd im Bereich Research & Development mit dem Schwerpunkt Energieeffizienz tätig. Er studierte Maschinenbau und Schiffbau an der Universität Rostock.