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„Wenn dein Schiff brennt, gehst du nicht ins Bett!“

Kapitän Florian Böttger ist leidenschaftlicher Seefahrer und seit 16 Jahren für Hapag-Lloyd unterwegs – fünf davon als Kapitän. Hier erzählt er von seinen Anfängen auf schwedischen Autofähren, Ausflügen in Peru und Sydney und einem Brand an Bord der „Yantian Express“, der ihm und seiner Besatzung alles abverlangte.

Crewwechsel am Hamburger Burchardkai. Kapitän Florian Böttger übergibt die Cartagena Express nach neun Wochen Südamerika-Loop seinem polnischen Kollegen Krzysztof Kaplon. „Leider hatten wir pandemiebedingt keinen Landgang in Südamerika, das ist schon hart für die Besatzung!“, erzählt der Kapitän. „Aber mit gemeinsamen Barbecues, Sportturnieren und Filmabenden haben wir die freie Zeit ganz gut rumgekriegt.“ Jetzt freut er sich auf seine Familie, denn gleich geht es nach Bremen zu den Söhnen Ben und Nick, mit denen er dann erst mal eine Runde Lego spielen wird. „Und natürlich freue ich mich auf meine Frau. Wir haben uns vor 21 Jahren auf meiner ersten Fahrt nach Südamerika kennengelernt.“ So ganz klassisch auf einem Landgang? „Ja, in Paita, Peru. Ich war damals noch Kadett und besuchte mit zwei befreundeten Kollegen eine Diskothek. Adriana kam mit ein paar Freundinnen rein – es hat sofort gefunkt.“ Nicht schlecht, wenn man daheim in Deutschland eine Mutter mit Ballettschule hat, in der auch Salsa-Kurse gegeben werden: „Den Kurs hatte ich da gerade hinter mir und forderte meine zukünftige Frau einfach zum Tanzen auf.“ Es muss ihr gefallen haben: Die Böttgers sind seit 15 Jahren glücklich miteinander verheiratet.

Liebe auf den ersten Blick war auch die Seefahrt: Schon als kleiner Junge fuhr Florian Böttger regelmäßig mit den Eltern auf der Autofähre über Schweden nach Finnland, von wo seine Mutter Erja stammt. „Die Überfahrten haben mich total fasziniert“, erzählt der heute 43-Jährige, der schon mit sechs seine ersten Schiffe zeichnete. Unzählige Ferien und Fährfahrten später bewarb sich der frischgebackene Abiturient an der Hochschule für Nautik in Bremen. Die nötige Ausbildung zum Nautischen Offiziersassistenten absolvierte er – wen wundert’s – auf einer schwedischen Autofähre. „Nach sechs Monaten Travemünde-Trelleborg und zurück kannte ich allerdings jede Tonne auf der Ostsee. Ich wollte raus in die Welt, da kam nur die Containerschifffahrt in Frage!“

Master Florian Böttger discovered his passion for sailing as a child and was a regular and enthusiastic passenger on the ferry between Sweden and Finland
Master Florian Böttger discovered his passion for sailing as a child and was a regular and enthusiastic passenger on the ferry between Sweden and Finland

Mit abgeschlossenem Studium und ersten Erfahrungen bei einer Bremer Reederei fragte Florian Böttger 2002 bei Hapag-Lloyd, ob sich eine Bewerbung lohne. „Der Herr am Telefon sagt aber nur, Ich hab hier schon 200 Bewerber auf der Liste, soll ich Sie da noch drunter schreiben?‘ – ,Nee, oben drüber!‘, antwortete ich etwas übermütig. Aber mir war klar, dass es der falsche Zeitpunkt war. Damals setzte Hapag-Lloyd noch auf das doppelte Patent. Das hatte ich nicht.“ So fuhr der gebürtige Hamburger bei den Reedereien Hansa Mare und Bertram Rickmers oft als einziger Deutscher mit Kroaten, Burmesen und Filipinos, bevor er 2005 einen zweiten Anlauf bei Hapag-Lloyd wagte. Diesmal klappte es. An das Vorstellungsgespräch kann sich der Kapitän noch bestens erinnern: „Ich wurde auch nach meiner Meinung zum doppelten Patent befragt und antwortete ehrlich, das meiner Ansicht nach kein Mensch beide Bereiche perfekt abdecken kann. Sie haben mich trotzdem genommen!“, freut sich Florian Böttger.

Zwei Jahre fuhr er als Zweiter, dann folgte die Beförderung zum Ersten Offizier. „Wir waren gerade mit der „Maersk Dayton“, heute die „Glasgow Express“, unterwegs, als mein Chef gefragt wurde, ob er mir den Ersten Offizier zutraut. So wurde ich auf See befördert, hatte eine Woche Einarbeitungszeit und los ging’s“, erzählt Florian Böttger. Endlich durfte er Verantwortung übernehmen: „Garbage- und Ballast-Management, Ladungskontrolle und die Stabilität des Schiffes, dazu Deck Maintenance – das war ein Riesenschritt“, findet der Mann mit der ruhigen Stimme. Und so sehr er in seinen Anfängen die Südamerika-Route liebte, lernte er jetzt die östliche Hemisphäre zu schätzen: „Von Singapur nach Freemantle, Melbourne, Sydney und zurück – alles tolle Städte und Häfen mit sehr entspannten Leuten!“ Gern erinnert sich Böttger an diverse Ausflüge, so zum Beispiel den Besuch des Fernsehturms von Sydney: „Wenn Du in 268 Meter Höhe auf dem Glasboden des Skywalk stehst und Dir ganz Sydney zu Füßen liegt, das ist schon Wahnsinn“, schwärmt er.

In seinen neun Jahren als Erster Offizier habe er die Welt, die Seefahrt, aber auch sich selbst besser kennengelernt. Ruhiger sei er geworden, er würde mehr nachdenken und als Kapitän auch die Meinungen anderer in seine Überlegungen mit einbeziehen. Florian Böttger: „Unser Job klingt ja erstmal recht einfach. Du musst ein Schiff sicher von Hafen A nach B nach C bringen. Aber zwischen den Buchstaben lauern jede Menge Überraschungen, auf die du jederzeit gefasst sein musst.“

Eine dieser „Überraschungen“ wird Florian Böttger nie vergessen: den Brand auf der „Yantian Express“ vor zweieinhalb Jahren. „Es war der 2. Januar 2019, als mich der Zweite Offizier um Mitternacht aus dem Bett klingelte und auf die Brücke rief. Wir waren von Colombo nach Canada, 800 Meilen südöstlich von Halifax unterwegs. Ich sah schon auf dem Weg zur Brücke das Leuchten auf dem Vorderschiff – ein Feuer war ausgebrochen.“ Und das in einer Bay, in der kein Gefahrgut deklariert war. „Ich löste den Generalalarm aus, trommelte alle Mann an Deck.“ Die Mannschaft tat, was sie in so vielen Routine-Übungen geprobt hatte, nur dass es jetzt keine Übung, sondern ein Ernstfall war. Die Männer hackten und bohrten Löcher in die Container, legten Feuerlöschschläuche aus, versuch ten die brennenden Container zu fluten. „Aber wir hatten das Wetter gegen uns, sieben bis acht Windstärken, die das Feuer immer wieder neu entfachten. Es schien aussichtlos, die Flammen sprangen einfach auf die nächstliegenden Container über.“ Drei Tage und Nächte bekämpfte die Besatzung ohne Pause das Feuer, schob sich immer wieder vor zu den Bränden. „Wir standen in engem Austausch mit dem Notfallteam an Land, ich hatte durchgehend telefonischen Kontakt zum Personalleiter Arnold Lipinski und seinem Team. ,Herr Böttger, Sie müssen auch mal schlafen‘, mahnte er. Ich probierte es, stand aber zehn Minuten später wieder auf – wenn dein Schiff brennt, kannst du doch nicht ins Bett gehen!“ Kurze Zeit später gab es eine Explosion, das Feuer hatte sich auf die nächste Bay ausgebreitet und einen Gefahrgutcontainer entzündet. Auch der Frachtraum war schon betroffen. „Wir justierten dann die Strahlrohre so, dass sie eine Wasserwand erzeugten, damit sich das Feuer wenigstens nicht noch weiter nach Achtern ausbreitete.“

The blaze burned for four weeks on the "Yantian Express" - the crew had to leave the ship
The blaze burned for four weeks on the "Yantian Express" - the crew had to leave the ship

Inzwischen hatte Hapag-Lloyd einen Schlepper engagiert, der die Löscharbeiten von außen vorantrieb. Doch da sich das Wetter weiterhin verschlechterte, musste eine Entscheidung her. „Arnold Lipinski und sein Team schlugen dann vor, dass wir erst mal alle von Bord gehen, rauf auf den Schlepper und auf besseres Wetter warten.“

Er habe zunächst nur die Hälfte der Besatzung evakuiert, die Verbleibenden sollten die „Yantian Express“ am nächsten Tag zum Notabschleppen fertigmachen. Dann gingen auch die restlichen Seemänner von Bord, als Letztes Florian Böttger: „Das Schiff zu verlassen, war der schlimmste Moment meiner Karriere. Aber ich hatte keine Wahl, zog den Überlebensanzug an und stieg auf die Lotsenleiter.“ Der Ausstieg gestaltete sich schwerer als gedacht: „Bei vier Meter hohen Wellen warf man mir vom Rettungsboot den Tampen zu, aber ich griff ins Leere, knallte rücklings mit der Leiter zurück an die Bordwand. Die 72 Stunden ohne Schlaf machten sich bemerkbar, ich konnte mich gerade noch fangen.“ Beim zweiten Mal klappte es, Böttger erwischte den Tampen und sprang in den Atlantik. „Das Rettungsboot zog mich volle Kraft voraus weg vom Schiff. Erst an Bord des Schleppers sah ich dann das ganze Ausmaß des Brandes: die brennenden Container und eine Rauchwolke, die kilometerweit in den Himmel stieg.“ Nach einer Lage Besprechung inklusive großem Lob für seine erschöpfte Besatzung fiel Florian Böttger in einen zehnstündigen traumlosen Tiefschlaf.

Zwei Tage später klarte das Wetter auf und der nächste Schlepper erreichte die „Yantian Express“, an Bord ein Salvage Master, der auf Brände an Bord spezialisiert ist. „Mit ihm, dem Chief Engineer, dem Ersten Offizier und dem zweiten Ingenieur und unserem Azubi bin ich dann wieder an Bord gegangen. Das war für uns der schönste Moment! Endlich konnten wir wieder arbeiten.“ Ein dritter Schlepper brachte eine komplette Salvage Crew aus Rotterdam. „Die haben in voller Montur Löcher in die Containerwände geschlagen, sind in die Container reingegangen, von einem zum nächsten.“ Die Besatzung der „Yantian Express“ wechselte auf ein Schwesterschiff und konnte in Halifax von Bord gehen. Für Kapitän Böttger und seine Mitstreiter war da noch lange nicht Schluss: „Wir fünf blieben an Bord, konnten unser Schiff mit eigener Kraft nach Freeport auf die Bahamas steuern, immer noch loderten kleine Brandherde, die erst kurz vor der Ankunft gelöscht werden konnten. Am 2. Februar sind wir von Bord gegangen.“

Kapitän Böttgers Mut und sein besonnenes Handeln, die gute Zusammenarbeit mit der Crew und dem Notfallteam rund um Arnold Lipinski hat den Vorstand schwer beeindruckt. Alle Beteiligten wurden später an den Ballindamm eingeladen und gebührend geehrt. Stolz zeigt Kapitän Böttger die Uhr an seinem Handgelenk: „Die hat Anthony J. Firmin, damals noch im Vorstand, für uns ausgesucht. Eine Uhr, die speziell für Feuerwehrleute entwickelt wurde.“ Hat er nach dem Vorfall auf der „Yantian Express“ jemals ans Aufhören gedacht? „Nicht eine Sekunde!“, schüttelt Florian Böttger den Kopf. „Mich hat diese Erfahrung eher bestärkt. Was soll mich jetzt noch umhauen?“, resümiert er und denkt an die Worte, die ihm Managing Director Richard von Berlepsch bei der Beförderung zum Kapitän mitgegeben hat: „Ihnen wird irgendwann etwas passieren, Herr Böttger. Am Anfang, in der Mitte oder am Ende ihrer Karriere. Egal wann, wir müssen auf Sie zählen können. Wenn wir die Kommunikation zu Ihnen verlieren, verlieren wir auch das Schiff – das darf auf keinen Fall passieren.“ Die „Yantian Express“ fährt wieder – und das hat sie maßgeblich Kapitän Florian Böttger zu verdanken.

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