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Abschiedstour mit 600 Matjesheringen

Hartmut Wedekind blickt auf über 40 Jahre Seefahrt zurück. Und auch wenn der 84-Jährige schon lange im Ruhestand ist, erinnert sich bestens an seine Zeit bei Hapag-Lloyd. Hier erzählt er von seinem letzten Einsatz, den Anfängen auf der „Passat“, von den vielen Jahren als Erster Offizier – und wie Brillanten in seiner Kammer landeten.

„Meine letzte Reise 2001 verlief wie so viele meiner Fahrten ausgezeichnet. Damals gab es noch den 3D-Dienst, also die Route Europa, USA, durch den Panamakanal bis nach Hongkong und retour. Ich hatte mir vorgenommen, alle, mit denen ich in den vielen Jahren zusammengearbeitet hatte, noch mal wiederzusehen, und dafür packte ich 600 Matjesheringe ein“, erzählt Kapitän Hartmut Wedekind. „In fast jedem Hafen lud ich zum Essen, da kamen Leute, die ich teilweise 30 Jahre nicht mehr gesehen hatte.“ Besonders gern erinnert sich Wedekind an einen Agenten den alle „Cotton Picken Miller“ nannten und mit dem er in den 1970ern mal Baumwolle gezupft hatte. Baumwolle? „Nun, da war ich noch dritter Offizier, wir hatten weniger Fracht in Los Angeles als in den Papieren stand. Da sind wir zwei durch die Lagerhalle gegangen, haben einige der Baumwollballen geöffnet, auseinandergepflückt und daraus ein paar mehr gezaubert“, lacht der Kapitän a.D. Ob New York, Halifax oder San Franzisco, fast überall gab es zum Abschied Geschenke. Eines der schönsten: Das Modell eines alten kanadischen Seglers, der legendären „Bluenose“. Und von dieser springt der vitale Mann im Gespräch mühelos ins Jahr 1955, dem Jahr,  in dem seine berufliche Reise begann.

Hemdenbügeln auf der Viermastbark, Kollision im Ärmelkanal

„Ich hatte schon als Kind entschieden, dass ich Kapitän werden will, das muss auf einer Fahrt von Wangerooge nach Bremen gewesen sein. Und nun stand ich, gerade mal 16, auf der „Deutschland“, die als Schulschiff des Norddeutschen Lloyd in Bremen lag. 30 Schiffsjungen waren wir zu Anfang und dann hieß es, wer im Lehrgang unter den besten zehn ist, kommt auf die ,Passat‘. Was für eine Motivation! Ich strengte mich ordentlich an und schaffte es. So absolvierte ich zwei Reisen auf der Viermastbark nach Buenos Aires und zurück.“ Seefahrt in den 1950er Jahren sei mit heute nicht zu vergleichen, erklärt Wedekind: „Wir hatten damals fünf Wochen Liegezeit in Buenos Aires und die Mannschaft bestand aus 80 Mann Besatzung, davon 40 Kadetten. Wenn wir in der Stadt unterwegs waren in unseren Uniformen, war das ziemlich aufsehenerregend. Und klar wollten wir alle was erleben!“ Mit knapp 45 Mark Heuer im Monat gar nicht so einfach. Hartmut Wedekind bügelte fleißig Hemden für die höheren Dienstgrade, um an ein bisschen Kleingeld zu kommen. Und überhaupt hatte er immer Ideen, wie er als junger Seemann noch was dazu verdienen konnte: Mal schnitt er der Mannschaft die Haare („Bezahlt wurde in Bier, dass ich dann weiterverkaufte“), mal machte er mit einem anderen Kadetten Musik in einer Kneipe im australischen Melbourne: „Mein Freund Ingo Patzer spielte Akkordeon, ich Gitarre, da kam schon das eine oder andere zusammen.“ Klingt nach einem wunderbaren Seemannsleben. „Es war eine großartige Zeit. Aber wir haben allesamt ordentlich geschuftet. Und ganz ungefährlich war die Seefahrt auch nicht.“ Hartmut Wedekind erinnert sich an eine Fahrt als Dritter Offizier auf der „Bartenstein“: „Wir fuhren in dichtem Nebel durch den Ärmelkanal, ich hatte Wache und stand auf der Brücke, als wie aus dem nichts ein Tankschiff auftauchte und frontal auf uns zukam.“ Sofort übernahm der Kapitän, ein erfahrener 63-jähriger Seemann. „Die frontale Kollision konnte er noch verhindern, aber wir schrammten aneinander entlang und trugen beträchtliche Schäden an Rumpf und Heck davon. Bei der anschließenden Seeamtsverhandlung habe ich gelernt, was einen guten Kapitän ausmacht: Er übernahm ohne Wenn und Aber die volle Verantwortung und ließ auf uns junge Offiziere nichts kommen.“

Neuerfindung an Land, mit Doppelpatent zur Beförderung

Auf seinen ersten Einsatz als Kapitän musste Hartmut Wedekind lange warten. 1969 zum Ersten Offizier befördert, blieb er mit Unterbrechungen 20 Jahre in dieser Position. „Nach der Fusion des Norddeutschen Lloyd mit HAPAG wurde von 1974 bis 1989 niemand zum Kapitän befördert. Aber es gab genügend Möglichkeiten, sich bei Hapag-Lloyd einzubringen.“ Wedekind erfand sich damals neu: Erst beteiligte er sich an der Gründung des Seebetriebsrats, ging an Land, um als Inspektor für Gefährliche Ladung in Bremen zu arbeiten, wechselte in dieser Position für ein halbes Jahr nach London, um dann Urlaubsvertretungen in Rotterdam und Hamburg zu übernehmen. „Mit diesem Wissen beauftragte mich Hapag-Lloyd schließlich, einen Leitfaden für die Behandlung gefährlicher Ladung auf unseren Schiffe zu erarbeiten. Ein Jahr pendelte ich mit Dauerkarte zwischen Bremen und Hamburg, bevor es wieder an Bord ging.“ Kaum hatte er zwei Reisen hinter sich, folgte ein erneuter Einsatz an Land, diesmal in England. „Dort wurde ich verantwortlicher Ladungsinspektor für England, Irland und Schottland. Und ich konnte einiges für die Firma bewegen. So galt in Hull für die Schiffsabfertigung ungefähr 300 Jahre lang das Prinzip ,First come, first served‘, ich führte mit dem Hafenmeister das Slotsystem und das Laden nach Plan ein, was Liegezeiten und damit auch Kosten sparte.“ In den insgesamt sechs Jahren in London wurde Wedekind schließlich Direktor der aufgekauften Agentur „Brown Jenkinson“ und Chef von 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Tochter Dorte und Sohn Hauke kamen in London zur Welt, Ehefrau Inken arbeitete in der Buchhaltung der Agentur. 1984 zog die Familie zurück nach Göttingen und Wedekind fuhr wieder als Erster Offizier zur See.

Hat er nie damit gehadert, so lange nicht befördert zu werden? „Zwischenzeitlich bekam ich mal ein Angebot, die Segelyacht des Hamburger Verlegers Axel Springer als Kapitän zu fahren, aber nachdem ich in Erfahrung gebracht hatte, dass Hapag-Lloyd mich halten möchte, entschied ich mich dagegen. Und dann kam 1987 die Sache mit dem Doppelpatent, also die Möglichkeit, neben dem nautischen auch das technische Patent zu machen, was ich mit 48 in Angriff nahm.“ So lernte Wedekind unter anderen bei Blohm+Voss Metallbearbeitung, drückte in Hamburg noch mal die Schulbank und fuhr schließlich ein Jahr als Dritter Ingenieur zur See. „Es war großartig, noch mal so viel Neues zu lernen! Und meine Frau fand anschließend, dass ich in Haus und Hof viel besser zu gebrauchen sei“, erzählt Hartmut Wedekind lachend. In Kiel übernahm er noch die Bauaufsicht für die neue „Heidelberg Express“ und „Bonn Express“ und dann, nach zwei weiteren Reisen, war es endlich so weit: „Gemeinsam mit fünf anderen Kollegen wurde ich zum Kapitän befördert.“

Stürmische Zeiten, Höhen und Tiefen

Gleich auf der Ersten Reise als Kapitän erwischten ihn die Naturgewalten. „Wir hatten durchgehend schlechtes Wetter, als wir mit der alten „Leverkusen Express“ nach Nordamerika und wieder zurückfuhren. Vor Felixstowe in England sogar 12 Windstärken, da war an ein Arbeit an Deck nicht zu denken.“ Auf einer der nächsten Reisen erwischte ich mit meinem Schiff eine unangenehme Situation: Auf dem Weg nach New York mit zwei querlaufenden hohen Dünungen. Ich reduzierte die Geschwindigkeit auf langsame vier Knoten und richtete das Schiff so aus, dass eine Welle von 45 Grad Backbord und die andere von 45 Grad Steuerbord einkam. So kamen wir zwar nicht voran, aber die Schlingerbewegungen blieben erträglich. Ohne Warnung türmte sich plötzlich eine von den beiden Dünungsrichtungen gespeiste Welle auf und das Schiff fiel in das Loch vor der Welle. Es hörte gefühlt gar nicht mehr auf zu fallen bis wir vierkant in den Wellenkegel stießen. Mein Wachoffizier hatte automatisch die Maschine gestoppt, die ich sofort wieder auf halbe Kraft voraus anwarf, damit das Schiff manövrierfähig blieb. Nach etwa zwei Stunden hatte sich die See beruhigt und wir konnten die Schäden begutachten. Lediglich ein Flüssigkeitscontainer mit Säure war aus dem Gestell gebrochen und ausgelaufen – das Schiff hatte den Ritt gut überstanden. Beim Einlaufen in New York kam die Coast Guard an Bord, um das Schiff zu kontrollieren. Wir waren bestens vorbereitet, hielten die grüne US- Gefahrengutverordnung und unsere Papiere bereit, ich führte die Kontrolleure persönlich übers Schiff. Nach nur einer Stunde war alles erledigt und wir konnten in den Hafen einfahren.“

Brillanten im Bad, Handicap 29

So sehr er seine zehnjährige Tätigkeit als erster Mann an Bord liebte, die vielen kleinen und großen Geschichten, die er als Erster Offizier erlebte, will er nicht missen. „In Antwerpen wurde ich mal vom Kapitän beauftragt, mich um ein Säckchen mit Brillanten zu kümmern, zu unserem Safe hatten zu viele Leute Zugriff. Das Säckchen habe ich unauffällig zu meinen Zahnputzsachen ins Bad gepackt, bis wir in New York ankamen. Dort habe ich die kostbare Ware dann persönlich ausgehändigt.“

Nach der Pensionierung 2001, arbeitete Hartmut Wedekind einfach weiter: Ehrenamtlich betreute er zehn Jahre lang Jugendliche und begeisterte Amateursegler auf den Segelschiffen von Clippers, dem Deutschen Jugendwerk zur See. „Mit 78 dachte ich, jetzt ist es auch genug – ich wollte ja auch noch ein bisschen Golf spielen“, lacht der rüstige Kapitän a.D. Aktuell liegt sein Handicap bei 29: „Ich bin ja noch ganz gut in Schuss, mal sehen, ob ich das im Sommer noch verbessern kann.“

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